Bis dass der Tod uns scheidet
Hitze und besonderen, auf Epoxid basierenden Acrylfarben. Viel Getupfe und Pointillismus, nur wenige kräftige Striche oder Farbkleckse.
In diesen Bildern war Leben, das zu der Wildheit der Frau passte, die sich selbst Chrystal Tyler nannte. Es passte zu ihr, war aber nicht identisch. Die Ausführung dieser Bilder war subtil und sehr gewandt, wies die europäisch-asiatische Hegemonie von sich, reproduzierte zugleich aber auch deren Formenvielfalt und sogar ihr Geschichtsverständnis. Die Frau, die ich kennengelernt hatte, hatte keinerlei Vorstellung von dieser subtilen und gewaltigen Herausforderung der Herrschaft der sogenannten zivilisierten Welt über die Ästhetik.
Diese faszinierenden Werke zeigten Schrottplatzlandschaften, von gelben und braunen Nackten scheinbar ganz aus Verfall und Verrohung geschaffen. Ich fragte mich, wer wohl diese Frau war, die ich nicht kennengelernt hatte? Steckte sie derart in Schwierigkeiten, wie ihre falsche Darstellerin behauptete?
Und warum würde irgendwer auftauchen und sich für eine Frau ausgeben, die in Schwierigkeiten steckte? Arbeiteten sie zusammen, oder war dies eine Verschwörung gegen die richtige Chrystal Tyler, durchgeführt von einem mörderischen Ehemann und einer eifersüchtigen Cousine? Tylers erste beide Frauen waren tot – das war eine Tatsache. Sollte ich den Sündenbock bei einem dritten Mord abgeben?
Das Grinsen auf meinen Lippen verhieß niemandem etwas Gutes, der mich hereinzulegen versuchte. Ich saß da und dachte über die Natur meiner eigenen perversen Freude nach, als mein Telefon klingelte.
»Ja, Zephyra?«
»Sie haben um 19 Uhr einen Termin bei Cyril Tyler«, sagte sie und gab mir eine Adresse durch, die ich schon kannte.
»Haben Sie mit ihm gesprochen?«
»Nein. Mit irgendeiner Art Sekretär. Ich habe ihm mitgeteilt, was Sie mir gesagt haben, und er bat mich, kurz in der Leitung zu bleiben. Ein paar Minuten später war er wieder da und gab mir den Termin. Ich habe ihn bestätigt.«
»Danke«, sagte ich.
»Und Charles ist nicht mein Freund«, fügte sie hinzu.
»Vielleicht nicht, aber Sie werden keinen anderen Mann finden, der sich ihretwegen solcher Strapazen unterzieht.«
»Sonst noch etwas?«, fragte sie.
»Ein ganzes Universum«, meinte ich, doch dann pingte Bugs Suchprogramm wieder.
»Rufen Sie mich an, wenn Sie mich beruflich brauchen«, erklärte Zephyra.
Wir legten auf, und ich drückte auf Enter.
Der Monitor füllte sich mit einer Nahaufnahme von Pinky Todds blutüberströmten Gesicht. Bugs System musste irgendwie einen Weg in ein Zeitungsarchiv gefunden haben und war dort auf dieses drastische Bild gestoßen. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und aus einer tiefen Wunde an der Schläfe war ein Blutrinnsal zwischen die beiden nichts sehenden Kugeln geflossen.
Dieses Foto weckte meine ganze Aufmerksamkeit neu. Blut ist die tragende Säule in meiner besonderen Ecke der privaten Ermittlungen – heißes Blut, vergossenes Blut, das von Missgunst aufgewühlte Blut. Nicht immer ging es bei den Fällen, die mich interessierten, um Gewalt, doch stets pulsierte sie unterschwellig darin, zumindest hatten sie einen Hang zu einem blutigen Ausbruch.
Irgendwo im Hinterkopf hatte ich die halbbewusste Einsicht, dass dies das Leben war, das ich mir ausgesucht hatte, und dass nicht jeder anfällig war für diese Art von Leben. Ich fragte mich, ob ich nicht mal den Gang wechseln und eine andere Art Mensch werden sollte.
Wer weiß, wie weit ich diesen Gedanken noch weiter verfolgt hätte, wenn mich nicht die Gegensprechanlage in die Realität zurückgeholt hätte. Pinky Todds Bild leuchtete noch immer auf meinem Monitor.
»Ja, Mardi?«
»Harris Vartan, Sir.«
Den hatte ich fast vergessen.
»Führ ihn bitte herein.«
Ich loggte mich aus Bugs System aus, lehnte mich in meinem abgewetzten Bürosessel zurück und verschränkte meine Pranken zu einer überdimensionalen Faust. Ich konnte mit dieser Keule eine Hartholzlatte von zehn mal zehn Zentimetern durchschlagen, aber das war gar nichts gegen die Macht, die der Mann in Händen hielt, der gerade den Gang entlangkam.
Als die Tür aufging und Mardi den modernen Mobster in perlgrauem Anzug hereinführte, erhob ich mich. Sein Hemd war blassgelb, am Hals zugeschnürt mit einem maronenbraunen Schlips mit himmelblauen, schwebenden Mustern. Er hatte silbernes Haar, olivfarbene Haut und Augen, gegen die Schwarz nur Zweiter war. Er war eins fünfundsiebzig groß und dreiundsiebzig Jahre alt, ging
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