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Bis dass der Tod uns scheidet

Bis dass der Tod uns scheidet

Titel: Bis dass der Tod uns scheidet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Mosley
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aber locker für Mitte fünfzig durch. Er machte jeden Morgen Liegestütze und Klappmesser und konnte es leicht mit jeder halb so alten Person aufnehmen, ob Mann oder Frau.
    Mardi blieb an der Tür stehen, Vartan kam auf mich zu und streckte mir die Hand entgegen. Er gab nicht jedem die Hand. Man musste schon bis zu einer gewissen Stufe auf der Leiter des Bösen gelangt sein, um Vartan, unter Gesetzesbrechern und Gesetzeshütern gleichermaßen als der Diplomat bekannt, überhaupt sehen zu dürfen.
    Bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahr hatte ich ihn Onkel Harry genannt, weil er ein enger Gefährte meines Vaters gewesen war, als sie beide Gewerkschaftsaktivisten waren. Die Gewerkschaft brachte Tolstoy McGill Revolution und den gewaltsamen Sturz der Kapitalistenschweine nahe. Vartan hielt sich lieber an den Pfad des organisierten Verbrechens, den die Gewerkschaften manchmal auch zu bieten hatten.
    Die beiden hatten zwar unterschiedliche Wege zur Verdammnis eingeschlagen, aber sie hatten eine gemeinsame Philosophie: Sie sahen die Taten der Menschen als schicksalhaft an und wurden weder von Schuld noch von Reue geplagt.
    Die Taten eines Mannes werden von der Geschichte geprägt , hatte mir mein Vater mindestens hundertmal gesagt, bevor er loszog und vom Klassenkampf verschlungen wurde. Männer sind Kugeln, die von einem willkürlichen und unerschöpflichen Maschinengewehr abgefeuert werden. Man kann zwar vielleicht nicht vorhersehen, wo sie landen, aber sie sind unausweichlich auf dem Weg dorthin.
    »Du siehst fit aus, Leonid«, sagte Vartan mit einem halben Lächeln, das größte, das er einem schenkte.
    »Setzen Sie sich«, erwiderte ich.
    Mardi ging hinaus, Vartan setzte sich, schlug die Beine übereinander und lehnte sich zurück wie ein Südeuropäer auf Urlaub in New York.
    Tatsächlich lebte er in Chicago. Von dort aus leitete er ein Syndikat, dessen Größe sich Al Capone nicht mal hätte vorstellen können.
    »Wie gehen die Geschäfte?«, fragte er.
    »Habe gerade eine neue Klientin angenommen.«
    »Immer noch auf dem aufsteigenden Ast?«
    »Na ja, eher mal auf, mal ab«, antwortete ich, »aber ich versuche, auf der ehrlichen Seite zu bleiben.«
    »Tatsächlich? Mir ist zu Ohren gekommen, dass du eine Verbindung mit einem Mann namens Hush eingegangen bist.«
    »Was möchten Sie, Mr. Vartan?«
    »Du hast mich mal Onkel genannt.«
    Ich zuckte mit den Schultern.
    Vartan ließ einen Augenblick verstreichen, um zu sehen, ob ich wohl Herz zeigen würde – doch er wusste es besser.
    »Ich bin hergekommen, um dich zu bitten, für mich nach einem Mann zu suchen«, erklärte er. »Einem Mann namens William Williams, einem ehemaligen Mitarbeiter.«
    »Warum ich?«
    »New York war seine letzte Adresse, und dich kenne ich.«
    Ich hielt einen Augenblick inne und tat so, als würde ich über seine Anfrage nachdenken. Dann erklärte ich: »Mr. Vartan, ich werde unter gar keinen Umständen für Sie arbeiten. Für keine Summe.«
    »Ich hatte nicht vor, dich zu entlohnen«, entgegnete Vartan. »Ich dachte, das würdest du einem alten Freund der Familie zu Gefallen tun.«
    »Wir brauchen kein Blatt vor den Mund nehmen«, sagte ich. »Ich habe dieses Leben hinter mir gelassen, und das heißt, ich kehre nicht mehr zurück, selbst wenn ein so gefährlicher und einflussreicher Mann wie Sie mich dazu zu zwingen versucht.«
    Vartan machte es sich so bequem, dass man hätte glauben können, er sei daheim und würde in seinem Lieblingssessel sitzen. Er drehte die Handflächen nach oben und runzelte die Stirn.
    »Ich respektiere deine Entscheidung, Lenny«, sagte er und benutzte einen Spitznamen, den nur er zu benutzen wagte. »Aber diese Bitte hat nichts mit meinem Geschäft oder irgendetwas Illegalem zu tun, von dem ich wüsste. Dieser Mann ist ein alter Freund aus meiner Jugendzeit. Ich habe jemandem versprochen, ihn zu finden – aus Freundschaft, nicht aus Geschäftsgründen.«
    Vartan war mir nie wie ein dreister Lügner vorgekommen. Sein Geschäft bestand darin, Probleme zu beseitigen, nicht in der Täuschung.
    »Und wenn du mir diesen Dienst erweist, stehe ich in deiner Schuld«, fügte er hinzu.
    Ich hatte in den letzten paar Monaten so manche Brücke hinter mir abgerissen. Ein Freund von Vartans Statur konnte von Nutzen sein.
    »Das hat nichts mit Ihrem Geschäft zu tun?«, fragte ich.
    »Nichts.«
    »Es geht nicht um Verbrechen oder Rache?«
    »Korrekt.«
    »Ihr Wort darauf?«
    »Wenn du es wünschst, ja.«
    »Ich denke darüber

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