Bis euch der Pfähler holt!
seufzend um – und erstarrte.
Auf dem Bahnsteig stand jemand. Er wirkte wie ein Riese.
Wahrscheinlich auch deshalb, weil Marek tiefer stand. Er konnte den anderen deshalb so deutlich sehen, weil der Vorhang aus Schnee nicht so breit war, als würde er in die andere Richtung schauen.
Der Mann bewegte sich nicht. Er trug einen Hut, dessen Krempe er tief in die Stirn gedrückt hatte. Auch wenn Marek sich die Höhendifferenz wegdachte, war der andere noch immer ein ganzes Stück größer als er.
Von seinem Gesicht war nicht viel zu sehen. Seine Gestalt wirkte eckig.
Das mochte an seinem langen Mantel mit den weit ausgestellten Schultern liegen. Die Hände sah Marek nicht, er hatte sie tief in die Manteltaschen geschoben, doch er konnte sich vorstellen, daß es gewaltige Pranken waren. Was machte dieser Mensch hier? War er ein Vampir? Marek konnte sich alles vorstellen. Der erste Schreck war vorüber, er atmete die kalte Luft und zwinkerte, weil ihm immer wieder Schneeflocken ins Gesicht patschten und auch die Augen nicht ausließen.
Der Fremde nickte ihn hoch. »Komm da raus«, sagte er. Seine Stimme klang böse und rauh, als wäre er erkältet.
Marek nickte. »Ja, ich werde die Gleise verlassen.« Er ging sicherheitshalber zur Seite. Der andere bewegte sich mit, schaute sehr genau zu, wie der Pfähler auf den Bahnsteig kletterte. Als Marek stand, schaute ihn der Fremde wieder an.
»Ich bin Horak«, sagte dieser. »Und ich überlege mir, ob ich dich töten soll…«
Auf einmal war es noch stiller geworden. Zumindest kam Marek dies so vor. Die Worte des anderen hatten ihn hart getroffen. Er glaubte auch nicht daran, daß sie nur eine leere Drohung waren, und der Mann mit dem Eichenpflock gab sich selbst den Befehl, nur nicht durchzudrehen und die Ruhe zu bewahen.
Gegen diesen Horak kam er nicht an. Er war im Vergleich zu Marek ein Riese und ihm körperlich überlegen. Dieses Defizit an Kraft mußte der Pfähler durch eine gewisse Raffinesse ausgleichen. Er hoffte, dies auch zu schaffen.
»Wie heißt du?«
»Frantisek Marek.«
Jetzt kam es darauf an. Wußte dieser Horak über ihn Bescheid? Hatte er gehört, welcher Lebensaufgabe Marek nachging? Er war nicht zusammengezuckt, als er den Namen gehört hatte. Demnach konnte der Pfähler hoffen.
»Was willst du hier?«
Marek versuchte es mit einem kratzigen Lachen. »Es ist so, die Lage ist schlecht, das weißt du selbst. Man muß schon zusehen, daß man durchkommt.«
Horak nickte. »Und weiter?«
»Nun ja, ich wollte sehen, ob sich hier etwas findet, das ich gebrauchen kann. Du verstehst?«
»Stehlen?«
»Wie man es nimmt. Jeder will überleben. Das brauche ich dir doch nicht zu erzählen.«
»Nein, das brauchst du nicht.« Der Große hielt noch immer seine Hände in den Taschen. »Aber ich will auch nicht, daß du mich anlügst, hast du verstanden?«
»Nein, nein… wieso anlügen?«
»Wenn jemand etwas stehlen will, dann legt er sein Ohr nicht auf die Schienen.«
Der Pfähler schluckte. Diese Reaktion hätte er sich denken können, aber er hatte gehofft, daß er ausweichen konnte.
»Du sagst nichts?«
»Ich weiß nicht. Es kam einfach über mich. Das habe ich schon als kleiner Junge getan.«
»Junge, wie…?«
»So ist es.«
Horak trat zu. Blitzschnell und gemein. Er überraschte Marek damit, denn auf eine derartige Attacke war er nicht gefaßt gewesen. Der Tritt erwischte ihn dicht oberhalb der Genitalien. Ein böser Schmerz flutete durch seinen Körper. Er raubte ihm sein Denkvermögen, und Marek kam sich vor, als hätte er die normale Welt verlassen. Er bewegte sich durch einen Kreis aus Feuer und Schmerz, den Aufprall spürte er nicht, wunderte sich aber, daß er noch gekrümmt auf den Beinen stand und ihm die Wand des Bahnhofshauses Halt gab.
Frantisek atmete keuchend. Er würgte. Ihm war übel, aber er konnte sich nicht erbrechen.
Dafür hörte er Horaks Schritte. Der Große ging durch den Schnee, den der Wind auf den Bahnsteig geweht hatte. Das Knirschen hörte sich an, als wäre der Mann dabei, irgendwelche Äste oder Knochen einfach zu zerbrechen.
Vor dem Pfähler blieb er stehen. Seine Hände hatte er aus den Taschen gezogen. Marek sah sie immer noch nicht, denn Horak hatte Handschuhe darüber gestreift. Den rechten Zeigefinger hielt er ausgestreckt und winkte Marek damit zu. »Ich mag es nicht, wenn man mich anlügt. Und du hast mich angelogen. Du hast nicht stehlen wollen. Du wartest hier auf ein bestimmtes Ereignis, und du hast
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