Bis ich bei dir bin
sich zu spüren. »Diesmal werde ich ein besserer Mensch sein, das verspreche ich.«
Mit geschlossenen Augen sauge ich ihren Duft in mich ein, als wir uns küssen. »Wir beide, wir werden uns beide bessern.«
NEUNZEHN
K önnen wir nicht hierbleiben?«, fragt Viv.
Ich taste um den Strommast herum, ein Auge auf den heller werdenden Himmel gerichtet.
»Wir können nachts herkommen, sooft du möchtest«, antworte ich. »Aber ich will nicht riskieren, dass uns jemand entdeckt.«
Stirnrunzelnd wedle ich weiter in der Luft herum. Ich könnte schwören, dass die Stelle ziemlich genau hier … Endlich fangen meine Finger an zu kribbeln. Ich verstehe nicht, warum sie diesmal so schwer zu finden ist. Als ich in Vivs tränenverschmiertes Gesicht blicke, sieht sie ängstlich aus.
»Bist du bereit? Möchtest du lieber wieder die Augen zumachen?«
Sie knetet den Bund ihres Pullovers.
»Was ist, wenn ich … nicht nach Hause will?«
Ich zögere, weiß nicht, ob sie das ernst meint. »Also, ich kann dich schlecht mit zu mir nehmen und dich in meinem Kleiderschrank verstecken.«
Sie zieht eine Grimasse, sagt aber weder etwas, noch bewegt sie sich von der Stelle.
»Wir kommen morgen wieder her, versprochen.«
Sie beäugt meinen ausgestreckten, durchsichtig grünen Arm und seufzt.
»Du zuerst.«
Ich nehme sie bei der Hand und trete in das elektrische Feld vor mir, das sich daraufhin leuchtend grün färbt. Diesmal muss ich mich noch ein bisschen stärker bücken, um hindurchzupassen. Als ich auf der anderen Seite herauskomme und mich halb umwende, um Viv zu helfen, sehe ich eine Gestalt auf dem Bürgersteig, die uns beobachtet. Panisch will ich Viv warnen, aber sie ist schon dicht hinter mir, und es gibt keine Versteckmöglichkeiten, nur kniehohes Gestrüpp und den Mast.
»Cam?«
Obwohl mein Gehirn noch dabei ist, das elektrische Sirren abzustreifen, erkenne ich Ninas Stimme und seufze erleichtert auf. Viv steigt gerade hindurch, ein Fuß materialisiert sich vor dem grünen Licht, dann der zweite. Sie hält immer noch meine Hand fest, und als sie es geschafft hat, drückt sie sie fest und ringt keuchend nach Luft.
»Das war irgendwie cool diesmal!«
Da sie nun in Sicherheit ist, atme ich auf und lasse ihre Hand los.
»Nina, du bist’s, Gott sei Dank«, sage ich.
Ihr Blick wandert von mir zu Viv, und ich merke, wie sie sich versteift. »Was machst du denn hier?«
Ich will auf sie zugehen, doch Viv hält mich zurück.
»Ist schon gut«, sage ich, »Nina weiß Bescheid.«
Vivs Griff um meinen linken Arm wird noch fester. »Ach ja?«
»Ich, äh, wollte Viv nur zeigen, wie es funktioniert.« Ich deute vage auf den Strommast.
Nina hat sich nicht vom Fleck gerührt. Sie trägt eine leichte Jacke und enge Jeans. Ihre Haare sind offen – sie steckt sie nie hoch wie ihre andere Version in dem Diner –, und ihre Arme liegen locker an den Seiten, nur die Finger der einen Hand zucken. Ich habe immer noch ein schlechtes Gewissen wegen meiner Bemerkung über die Widmung in ihrem Jahrbuch, aber irgendwie macht es mich verlegen, mit ihr zu reden, während Viv an meinem Arm hängt. Die beiden starren sich an wie Gegner an der Gedrängelinie.
Nina schüttelt den Kopf, ohne Viv aus den Augen zu lassen.
»Es ist nicht sicher für dich, mit ihr zusammen zu sein, Cam.«
Ich richte mich auf und blicke mich hastig um. »Niemand hat uns beobachtet.«
»Und was machst du hier?«, stößt Viv zwischen den Zähnen hervor.
Nina fixiert sie etwa fünf Sekunden über die Höflichkeitsgrenze hinaus und sieht mir dann gerade ins Gesicht. »Das hier ist gefährlich.«
»Wir wissen genau, was wir tun«, sagt Viv und stellt sich vor mich. »Und es hat nicht das Geringste mit dir zu tun.«
Nina presst die Lippen aufeinander. »Ist euch klar, was passiert, wenn euch jemand sieht?«
»Natürlich«, erwidert Viv. »Aber es geht dich trotzdem nichts an.«
Nina wirft mir einen durchdringenden Blick zu, und ich überlege, was mein anderes Ich wohl getan hätte. Dann stelle ich mich neben Viv und nehme ihren Arm. Ninas Augen ziehen sich zu Schlitzen zusammen, dann reckt sie entschlossen das Kinn, wendet sich ab und geht davon. Verdutzt will ich ihr nachlaufen, doch Viv hält meine Hand so fest, dass es wehtut. Ich verziehe schmerzhaft das Gesicht und mache mich los, aber bevor ich noch etwas sagen kann, stolziert sie schon in die entgegengesetzte Richtung davon.
»Viv, warte!«
Ich laufe ihr hinterher. Als ich sie festhalten will, wirbelt
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