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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Montag fragte Mr. Ramsey, ob Peewee vielleicht auch für die
restlichen Vorstellungen zur Verfügung stehe, doch dies war nichts, was Peewee
wiederholen wollte. (Jahre später erzählte er Jack, er sei nie ganz darüber
hinweggekommen.)
    Jack sah, daß die Frau in Grau wie durch Zauberkraft an der Seite
seiner Mutter erschienen war. Als tüchtige Lazarettschwester tat sie, was sie
konnte, um Alice zu beruhigen, doch nicht einmal ihr gelang es. Alice’
Schluchzen ging im Tosen des Beifalls unter, doch Jack sah ihr verzweifeltes
Gesicht. Was sie sagte, las er von ihren Lippen ab: seinen Namen, immer wieder,
und wie leid es ihr tue.
    Jack hatte sie fragen wollen, ob sie nun Mrs. Oastlers mietfreie
Mieter werden würden und ob sie, Alice – apropos umsonst –, Emmas Mutter eine
Gratistätowierung gemacht hatte. Doch als er sah, wie aufgelöst sie über seine
Darstellung von Darlin’ Jenny war, überlegte er es sich anders. Obgleich er die
Beziehung seiner Mutter zu Mrs. Oastler nicht ganz verstand, nahm er an, daß es
auf dieser Welt nichts (oder jedenfalls nichts von Bedeutung) je umsonst gab.
    [310]  Trotz des Beifalls hätte Jack wieder zu schreien begonnen, wenn
nicht der Vorhang gefallen wäre. Er stellte fest, daß er sich, noch immer in
Peewees Armen, hinter den Kulissen befand. Peewee hatte für einen Augenblick
gedacht, das Fallen des Vorhangs sei ein weiterer unvorhergesehener Zwischenfall,
doch sobald das Meer von Mädchen ihn umgab, beruhigte er sich und gratulierte
Jack zu seinem Auftritt. Und jetzt endlich setzte er den Jungen ab.
    »Jack Burns!« rief Mr. Ramsey. »Jede Braut auf Bestellung steht tief
in deiner Schuld!« Jack sah, daß Mr. Ramsey einen Fotoapparat hatte; er machte
Fotos von Jack-als-Jenny.
    »Du darfst mich jederzeit über den Haufen schießen, Jack«, sagte
Ginny Jarvis ihm etwas zu laut ins Ohr.
    Penny Hamilton, die das gehört hatte und deren Stirn bei Jacks
Nahtod-Ejakulation unglücklicherweise im Weg gewesen war, sagte: »Ja, Jack, und
wie es aussieht, schießt du nicht mit Platzpatronen.«
    »Was?«
    »Laß ihn in Ruhe«, sagte Emma. Sie war hinter die Bühne gekommen und
legte schützend den Arm um ihn.
    Und dort, hinter der Bühne, sah er auch das Gesicht, das ihn in
Zukunft immer wieder heimsuchen würde: Bonnie Hamilton stand in einiger
Entfernung, als ertrüge ihr Herz es nicht, näher zu treten. Sie soufflierte
nicht mehr, doch was sie sagte, konnte er noch immer von ihren bebenden Lippen
ablesen.
    »Siehst du?« flüsterte er Emma ins Ohr. »Siehst du, wie Bonnie
Hamilton mich ansieht? Das habe ich gemeint.«
    Doch im allgemeinen Getümmel hörte Emma ihn nicht – vielleicht war
sie auch zu sehr davon in Anspruch genommen, die älteren Mädchen abzuwehren.
»Weißt du was, Zuckerbär?« sagte sie. »Es ist vielleicht nicht die
allerschlechteste Idee, dich auf eine Jungenschule in Maine zu tun.«
    »Warum?«
    [311]  Er mußte sich abschminken, den Lippenstift abwischen, ganz zu
schweigen von all dem Blut. Mr. Ramsey, der Regisseur und Kind-Wikinger, konnte
gar nicht mehr aufhören, auf den Fußballen zu wippen. »Und das gerade, als ich
dachte, Abigail Cooke könnte vielleicht ein bißchen veraltet sein«, sagte er zu Miss Wurtz, die (mit Tränen in den Augen) gekommen
war, um zu gratulieren.
    Emmas Freundinnen Wendy Holton und Charlotte Barford hatten sich
ebenfalls zu ihnen gesellt. »Ich glaube, wenn ich jemals eine solche Periode
hätte, würde ich sterben«, sagte Wendy zu Jack. Charlotte Barford musterte ihn
wie übriggebliebene Vorspeise.
    Trotz seiner erheblichen Körpergröße – ganz zu schweigen von seinem
spontanen Beitrag zu der Aufführung – war es Peewee gelungen, sich
davonzuschleichen. In dem ausgelassenen Jubel nach der gelungenen Premiere
drängte Jack den sichtlichen Kummer seiner Mutter in die hinteren Regionen
seines Geistes zurück. Doch wenn er in St. Hilda ein Gewissen hatte, so lautete
dessen Name Mrs. McQuat. Die Frau in Grau ließ sich von Jacks Erfolg nicht
beeindrucken und legte einen ihrer charakteristischen unvermittelten Auftritte
hin, daß es dem Jungen den Atem verschlug. Hätte er noch einen Tropfen Blut im
Beutel gehabt, dann hätte er sofort wieder begonnen zu bluten. Wäre er vom
vielen Schreien nicht heiser gewesen, dann hätte er sofort wieder begonnen zu
schreien – nur lauter.
    Jack ging mit Emma nach Hause. »Unsere erste gemeinsame Nacht,
Süßer!« hatte Emma erklärt. Sie war in den Zuschauerraum gegangen, um

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