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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ihre
Mutter zu finden, die mit Alice auf sie wartete. Jack war, wenn auch nur kurz,
allein hinter der Bühne. Selbst seine geliebte Souffleuse hatte sich
davongeschlichen, und ihr Hinken war diesmal unbemerkt geblieben.
    In diesem Augenblick erschien die Frau in Grau – ihre kalten Hände
packten Jacks Handgelenke dort, wo die Fesseln [312]  gesessen hatten. »Gut
gemacht, Jack«, sagte Mrs. McQuat. »Aber du hast… einiges zu tun. Und ich meine
nicht… auf der Bühne«, flüsterte sie.
    »Was habe ich zu tun?« fragte er.
    »Kümmere dich… um deine Mutter, Jack… Wenn du es… nicht tust, wirst
du dir später… Vorwürfe machen.«
    »Aha.« ( Wie soll ich mich um sie kümmern?
wollte er fragen. Und warum?) Doch die Frau in Grau war, geisterhaft wie fast
immer, schon wieder verschwunden.
    Wie Jack später herausfand, kann es hinter der Bühne dunkel und
einsam sein, wenn das Publikum und der Rest des Ensembles heimgegangen sind.
Jack Burns war zwar keineswegs eine Braut auf Bestellung, doch dieser
entscheidende, bluttriefende Auftritt in Mr. Ramseys pathetischer Inszenierung
war der Beginn einer Karriere.

[313]  14
    Mrs. Machado
    Für
gewöhnlich nahmen Jungen nicht an den Klassentreffen in St. Hilda teil. Man
kann schlecht zu den Klassentreffen einer Schule gehen, an der man gar nicht
den Abschluß gemacht hat. Die Jungen verließen St. Hilda am Ende der vierten
Klasse und ohne großes Zeremoniell.
    Lucinda Fleming war eine unermüdliche Organisatorin der
Klassentreffen jener Klasse, in der Jack den Abschluß gemacht hätte, wäre er
ein Mädchen gewesen. Maureen Yap, deren Ehename ein Geheimnis blieb, erschien
regelmäßig – selbst in den Jahren, in denen sich ihre Klasse gar nicht traf.
Auch die Booth-Zwillinge waren regelmäßig dabei, sie waren unzertrennlich. Doch
auf Lucindas Weihnachtskarten stand nie etwas von identischen
Deckennuckelgeräuschen. (Jack fragte sich später, ob die Booths sie noch immer
machten.)
    Caroline French erschien nie bei diesen Treffen. Sofern Caroline
noch immer mit den Fersen trommelte, tat sie es allein. Ihr feindlicher
Zwillingsbruder Gordon war bei einem Bootsunfall ums Leben gekommen, kurz
nachdem er St. Hilda verlassen hatte. Es ist bemerkenswert, entdeckte Jack, wie
sehr einem Menschen fehlen können, die man kaum gekannt hat – sogar Menschen,
die man nie besonders gemocht hat.
    Jacks letzter Schultag im Frühling 1975 war insofern ein besonderer
Tag, als sowohl Emma Oastler als auch Mrs. McQuat ihn zum Town Car begleiteten,
der mit laufendem Motor vor dem Eingang an der Rosseter Road stand. Es war Mrs.
Wicksteeds letzter Wille gewesen, daß Peewee Jack fahren sollte, solange dieser
in St. Hilda zur Schule ging.
    [314]  Emma und Jack ließen sich auf den Rücksitz sinken, als würde ihr
Leben weitergehen wie immer. Peewee standen Tränen in den Augen. Sein Leben
jedenfalls würde sich verändern – nach Mrs. Wicksteeds Tod und Lotties abrupter
Abreise nach Prince Edward Island hatte es sich bereits verändert. Die Frau in
Grau beugte sich zum offenen Fenster und strich Jack mit ihrer kühlen Hand über
die Wange – es war wie ein Winterhauch im Vorfrühling. »Du darfst… mir
schreiben, Jack«, sagte Mrs. McQuat. »Ich empfehle es… dir sogar.«
    »Ja, Mrs. McQuat«, sagte der Junge. Peewee schluchzte noch immer,
als der Town Car sich in Bewegung setzte.
    »Und mir solltest du auch schreiben, Zuckerbär«, sagte Emma.
    »Paß auf deinen Arsch auf«, schluchzte Peewee. »Laß dir Augen im
Hinterkopf wachsen, damit du besser auf deinen Arsch aufpassen kannst.«
    Jack saß auf dem Rücksitz und sagte nichts – genau wie bei Mrs.
Wicksteeds Beerdigung. Da hatte seine Mutter immer wieder gesagt, der Sommer
werde »kein Zuckerlecken« sein. Sie sei entschlossen, ihren Sohn auf seine nächste
Schule vorzubereiten. »Du mußt lernen, wie man mit Jungen umgeht, Jack.«
    Alice’ Einschätzung, nach der ihr Sohn keinerlei sportliche Talente
besaß, war zwar übertrieben, entsprach aber im Grunde der Wahrheit, und daher
versicherte sie sich der Dienste von vier Männern, die sie tätowiert hatte,
damit diese Jack in der männlichen Kunst der Selbstverteidigung unterwiesen.
Für welche Form der Selbstverteidigung er sich entscheide, bleibe ihm
überlassen, sagte sie.
    Drei der Tätowierten waren Russen – einer stammte aus der Ukraine,
die beiden anderen aus Weißrußland. Der vierte war ein Thailänder, ein
Exchampion im Kickboxen und ehemaliger Mr. Bangkok, dessen

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