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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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er
beherrschte einen gemeinen Einsteiger, während Pawel im Stand gute
Durchschlüpfer, noch bessere Rumreißer und hervorragende Knöchelgriffe machte.
Tschenko wendete gern den Beinangriff innen an, während Boris und Pawel den
Beinangriff von außen bevorzugten. Tschenko setzte gern die Schleuder ein,
allerdings nur, wenn der Gegner in etwa die gleiche Größe hatte. In der
Bathurst Street gab es niemanden, der so groß wie Jack war. Beim Ringen hatte
er keinen richtigen Trainingspartner – er übte mit Tschenko, Boris und Pawel
lediglich die Griffe.
    Manchmal, wenn Mrs. Machado Jacks Brust oder Kehle mit einem ihrer
besten Kicks getroffen hatte – und besonders, wenn er dann nach Atem ringen
mußte –, gelang es ihm, sie zu überreden, ein bißchen mit ihm auf der
Ringkampfmatte »herumzurollen«. Sie hatte die falsche Größe für einen Hüftschwung,
aber Jack konnte einen Knöchelgriff nach dem anderen ansetzen, was Mrs. Machado
frustrierend fand, und wenn er sie dann auf der Matte hatte, war er in Oberlage
und konnte sie halten. Es gelang ihr nicht, sich aus seinen Griffen zu
befreien.
    [320]  Der Fairness halber brachte Tschenko ihr einen Runterreißer bei;
wenn Jack dann auf allen vieren war, konnte er ihr nicht mehr entkommen. (Mit
ihrem Mehrgewicht von knapp fünfunddreißig Kilo legte sie sich schnaufend auf
ihn.) »Ha!« rief sie, wenn er auf der Matte lag – derselbe Schrei, den sie
ausstieß, wenn ihr ein guter hoher Kick in den Unterleib gelungen war.
    Wenn Jack tatsächlich irgendwelche Fortschritte machte, so hatte er
keine Möglichkeit, es zu überprüfen. Gegen Abend griff Emma ihn unermüdlich an,
auf dem Wohnzimmersofa, auf dem Teppich, in ihrem Schlafzimmer oder einem der
Gästezimmer – in zwei davon wohnten Alice und Jack für die Dauer des Sommers.
Emma war jetzt siebzehn und sowohl größer als auch schwerer als Mrs. Machado.
Emma konnte Jack fertigmachen. Bei ihr funktionierte nichts von dem, was er
gelernt hatte, und das war ein schwerer Schlag für sein Selbstbewußtsein.
    Mitte Juni schickte Mrs. Oastler Emma zu einer
Gewichtsregulierungskur nach Kalifornien. »Ins Salatorium«, sagte Emma. Im Gegensatz
zu Jack fand Mrs. Oastler ihre Tochter dick. Emmas Selbstwertgefühl litt
vielleicht auch unter der Tatsache, daß Alice schlank und attraktiv, wenn auch
keineswegs so zierlich wie Leslie Oastler war.
    Die arme Emma – es war eine zweiwöchige Kur. In dieser Zeit sollte
Mrs. Machado Jacks Abendessen machen und sich um ihn kümmern, bis seine Mutter
und Mrs. Oastler nach Hause kamen (meist lange nachdem Mrs. Machado den Jungen
zu Bett gebracht hatte). So wurde Jacks Kickbox-Trainingspartnerin sein
Kindermädchen – der denkbar abwegigste Ersatz für Lottie.
    Jack und Mrs. Machado trainierten noch ein wenig – kein Vollkontakt,
»nur angesetzte Griffe«, wie Tschenko gesagt hätte –, und dann brachte sie ihn
zu Bett und ließ die Tür zum Gästeflügel offen und das Licht am Ende des Gangs
brennen. Bevor er einschlief, hörte Jack sie oft telefonieren. Sie sprach
portugiesisch – er nahm an, daß sie sich mit einem ihrer erwachsenen Kinder [321]  unterhielt, die »weggezogen« waren. Sie lebten offenbar in Toronto, denn
Mrs. Machado telefonierte so lange, daß es sich um Ortsgespräche handeln mußte.
Nicht selten weinte Mrs. Machado am Ende dieser Telefonate.
    Unter den Schluchzern von Mrs. Machado, die barfuß durch die schönen
Räume im Erdgeschoß des Oastler-Anwesens ging, schlief Jack ein. Hin und wieder
quietschten ihre Fußsohlen auf dem Hartholzboden, wenn sie eine Drehung auf dem
Ballen vollführte und mit dem anderen Fuß auf Schulterhöhe zutrat. Dann sah
Jack in Gedanken, wie Mrs. Machado ihren nur vorgestellten Exmann oder irgendeinen
anderen Angreifer erledigte. Er kannte ja die Übung – einschließlich des
Quietschens.
    Gegen Ende Juni, an einem der ersten warmen Sommerabende,
schrie, quietschte und kickte Mrs. Machado so laut, daß er es über dem Geräusch
des Deckenventilators hören konnte. (Das Anwesen von Mrs. Oastler war
klimatisiert, allerdings nicht der Gästeflügel – Alice und Jacks Zimmer waren
mit Deckenventilatoren ausgestattet.) Für die warme Jahreszeit hatte Alice Jack
etwas gekauft, was sie als »Sommerpyjama« bezeichnete – in Wirklichkeit waren
es seine ersten Boxershorts. Sie waren ihm ein bißchen zu groß.
    In den karierten Boxershorts, die ihm bis zu den Knien reichten,
stieg der Junge aus dem Bett. Passenderweise waren die

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