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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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einem Gipsverband auf
dem rechten Ohr und einer Mattenschürfung auf der linken Wange nach Hause.
    »Sieh dir nur deinen Jackie an, Alice«, sagte Leslie Oastler, als [357]  sie das gelieferte Abendessen aßen. »Diese Kerle in der Bathurst Street
werden ihn noch umbringen.«
    »Besser als ein wunder Pimmel«, sagte Jack.
    »Ganz zu schweigen von den Ausdrücken, die diese Russen ihm
beibringen«, sagte Mrs. Oastler.
    »Jack, ich muß dich bitten, auf deine Ausdrucksweise zu achten«,
sagte Alice.
    Am nächsten Abend hatte Emma ein Blumenkohlohr. Jack und Emma waren
ziemlich stolz auf ihre identischen Gipsverbände. Er hatte sie mit einem
Hammerlock gehalten und seine linke Schläfe an ihr rechtes Ohr gedrückt, und
sie hatte sich aus dem Griff befreit und ihn in einen Halbnelson genommen.
    »Wenn der Gegner gebaut ist wie sie, läßt man das mit dem Hammerlock
lieber bleiben, besonders wenn man so gebaut ist wie du«, sagte Tschenko zu
Jack.
    Das stimmte natürlich, aber Jack wußte, daß ein Trainingspartner,
der so zäh war wie Emma, ihm nur guttat. Und auch für Emma erwies sich das
Ringen als segensreich. Sie nahm in einer Woche vier Kilo ab. Jack wußte, daß
Boris und Pawel sie beeindruckt hatten – wenn schon nicht mit ihren Ohren, dann
mit ihrer Ernährung. Die Minskies waren diszipliniert, nicht nur beim Training,
sondern auch beim Essen. »Du hättest dir eine Menge Geld sparen können, wenn du
mich in die Bathurst Street anstatt in das Scheiß-Salatorium geschickt
hättest«, sagte sie zu ihrer Mutter.
    »Und ich muß dich ebenfalls bitten, auf deine Ausdrucksweise zu
achten, junges Fräulein«, sagte Mrs. Oastler.
    »Pimmel, Pimmel, Pimmel«, rief Jack.
    »Jetzt reicht’s«, sagte Mrs. Oastler.
    »Geh sofort auf dein Zimmer, Jack«, sagte Alice.
    Aber das machte Jack nichts aus. Am liebsten hätte er gesagt: »Ihr
schickt Emma in dieses Scheiß-Internat, und mich schickt ihr in dieses noch
beschissenere Maine –, und da sollen [358]  wir auf unsere Ausdrucksweise achten?«
Statt dessen sagte er: »Pimmel, Pimmel, Pimmel«, bis er im ersten Stock
angekommen war.
    »Du benimmst dich wie ein Baby, Jack!« rief seine Mutter ihm nach.
    »Sei ihm nicht böse, Alice – er ist nur sauer, weil er auf das
Internat kommt«, hörte Jack Mrs. Oastler sagen.
    »Das habt ihr ja verdammt schnell gemerkt«, sagte Emma.
    »Emma – auf dein Zimmer!« sagte Mrs. Oastler.
    »Viel Spaß beim Abwaschen!« rief Emma, als sie die Treppe
hinaufstapfte. (Meist war sie es, die das Geschirr spülte.)
    Emma und Jack waren in mehr als einer Hinsicht Trainingspartner.
Endlich waren sie echte Freunde geworden, und das lag zum Teil daran, daß ihre
Mütter sie zu trennen versuchten. Jede Schürfung, jede gesprungene Lippe, jedes
blaue Auge und jedes Blumenkohlohr bestätigte Alice’ und Mrs. Oastlers
Überzeugung, daß der Kontakt zwischen Emma und Jack – ganz gleich, wie er nun
aussah – jedenfalls nicht sexueller Natur war. Jack konnte mitten in der Nacht
aufstehen, in Emmas Zimmer gehen und sich zu ihr ins Bett legen, und umgekehrt
konnte sie die Nacht bei ihm verbringen. Ihre Mütter sagten nichts.
    Der Sommer war ohnehin beinahe vorüber. Was kümmerte es Alice und
Mrs. Oastler, ob Jack und Emma den ganzen Tag in der Bathurst Street
verbrachten und einander fertigmachten? (Nicht daß Jack Emma je wirklich
»fertiggemacht« hätte, aber hin und wieder gelang ihm ein guter Griff.)
    »In Emmas Fall sind es bloß die Hormone«, sagte Mrs. Oastler. Und
für Alice war Jack noch immer dabei zu lernen, wie er sich gegen Jungen verteidigen konnte.
    Innerhalb von zwei Wochen nahm Emma fünfeinhalb Kilo ab, und es war
deutlich, daß sie noch mehr abnehmen würde. Das lag nicht nur am Training,
sondern auch an ihren veränderten [359]  Eßgewohnheiten. Sie mochte Tschenko.
»Alles an ihm, außer seinen Ohren.« Abgesehen von den Ohren mochte sie auch
Boris und Pawel.
    Wenn Jack neben Emma in ihrem Bett lag oder wenn sie bei ihm war und
ihn in den Armen hielt, schmerzte es ihn, sie zu fragen, mit wem sie trainieren
würde, wenn er in Maine war.
    »Ach, ich finde schon jemand, den ich
vermöbeln kann, Zuckerbär.«
    Jack hatte gelernt, beim Küssen zu atmen. Die Versuchung, die Luft
anzuhalten, bis er ohnmächtig wurde, war jedoch groß. Und Emmas Interesse für
seinen Kleinen ließ nicht nach. Sie hatte recht gehabt: Er war nicht mehr wund.
Die Feuchtigkeitscreme, die sie weiterhin darauf strich, auch als Jack keinen
erkennbaren

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