Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
diesem Wetter nahm sich
Jack nicht die Zeit, die Motorräder zu zählen, aber es waren ungefähr dreißig –
die Nummernschilder verrieten, wie weit einige der Fahrer gereist waren.
    North Dakota Dan war den ganzen Weg von Bismarck gekommen; im Twin
Cities Tattoo in Minneapolis hatte er sich mit Lucky Pierre zusammengetan, und
sie waren gemeinsam nach Madison, Wisconsin, gefahren, wo Badger Schultz und
seine Frau Little Chicken Wing schon auf sie warteten. Im Windy City Tattoo in
Chicago hatten sie die Brüder Fronhofer abgeholt und waren mit ihnen zusammen
weiter nach Michigan gefahren; in Kalamazoo und Battle Creek hatten sie Schnee
gehabt, aber sie hatten es trotzdem noch rechtzeitig bis East Lansing
geschafft, um mit Flipper Volkmann im Spartan Tattoo eine Party [701]  feiern zu
können. Am nächsten Morgen fuhren sie mit Flipper nach Ann Arbor, wo sich ihnen
Wolverine Wally anschloß. Nach einigen nachvollziehbaren Schwierigkeiten am
kanadischen Zoll nahmen sie ab Windsor die 401 und fuhren im Regen nach
Kitchener und Guelph, wo sie sich mit ein paar Tätowierern aus Ontario trafen,
von denen Jack noch nie gehört hatte und deren Namen er sich auch später nicht
merken konnte.
    Einige waren auch von Louisville, Kentucky, und aus drei Städten in
Ohio Richtung Norden gefahren: Joe Ink vom Tiger Skin Tattoo in Cincinnati und
die Schwestern Skretkowicz aus Columbus – eine davon die Exfrau von Flattop
Tom, der sich in Cleveland mit den Schwestern traf.
    Zu den Trauergästen aus Pennsylvania, zu zahlreich, um sie alle zu
nennen, gehörten die Notabeln der Welt des Tätowierens aus Pittsburgh,
Harrisburg, Allentown und Scranton –, und Night-Shift Mike vom Sailors’ Friend
Tattoo fuhr den ganzen langen Weg von Norfolk, Virginia. In der Auffahrt von
St. Hilda standen auch Motorräder mit Nummernschildern aus Maryland,
Massachusetts, New York und New Jersey.
    An dem Gesang, der aus der Kapelle dröhnte – wobei die Männerstimmen
offenbar die Orgel übertrumpfen wollten und den Chor der Internatsschülerinnen
übertönten – erkannte Jack, daß Miss Wurtz nicht müßig gewesen war. Sie hatte
die Biker hereingebeten und es ihnen bei der Probe gemütlich gemacht. Bald
werde es in der Sporthalle heißen Kaffee geben, hatte Miss Wurtz ihnen gesagt,
was nicht stimmte – jedenfalls konnte von bald keine
Rede sein.
    »Wie viele von Ihnen kennen ›God save the Queen‹?« hatte die Wurtz
sie gefragt. Um dann in das verständnislose Schweigen der Biker hinein zu
sagen: »Tja, das habe ich mir gedacht! Ich glaube, ein wenig Übung könnte Ihnen
guttun.«
    Bis Jack in St. Hilda ankam, hatte sie sie zum Singen gebracht. Die
meisten Tätowierer wußten nicht, welche Königin sie [702]  singend Gottes Schutz
anbefahlen – aber sie taten es für Tochter Alice, und der Klang ihrer Stimmen
schien sie zu wärmen. Ihre nassen Ledermonturen tropften; der Geruch nach
Straße, Öl und Auspuffgasen vermischte sich mit dem Geruch ihrer abgetragenen
Kleidung, ihrer windzerzausten Bärte, ihrer vom Schweiß verklebten Haare. Vom
sicheren Altarraum aus sah aufgeregt der Chor der Internatsschülerinnen zu
ihnen herüber. Neben den Stimmen der Biker, bei denen es sich größtenteils um
Männer handelte, klangen die der Mädchen wie Kinderstimmen.
    Die Organistin, eine hübsche junge Frau, die wie der schwachköpfige
Kaplan neu in St. Hilda war, patzte; sogar Jack merkte, daß sie nervös war und
daß die Anzahl Fehler mit jedem falschen Ton, den sie spielte, noch zunahm.
    »Beruhigen Sie sich, Eleanor«, sagte Miss Wurtz zu ihr, »sonst muß
ich das übernehmen, und ich habe seit Jahren nicht mehr Orgel gespielt.«
    Während Eleanor eine kurze Pause einlegte, um sich zu sammeln,
stellte sich Jack den Freunden seiner Mutter vor. »Der gutaussehende Jack
Burns«, hörte er Night-Shift Mike anerkennend sagen.
    »Tochter Alice’ kleiner Junge«, sagte eine der Schwestern
Skretkowicz.
    »Ich bin die andere Skretkowicz«, sagte die andere Schwester zu
Jack. »Die, die nie mit Flattop Tom oder sonstwem verheiratet war«, flüsterte
sie ihm ins Ohr und biß ihn ins Ohrläppchen.
    »Ihre Mutter war bestimmt stolz auf Sie«, sagte Badger Schultz.
Little Chicken Wing, seine Frau, war schon jetzt in Tränen aufgelöst – dabei
war es noch nicht einmal Mittag. Bis zur Trauerfeier dauerte es noch Stunden.
    Caroline klatschte in die Hände. »Wir proben immer noch – wir
proben, bis ich ›Schluß‹ sage«, rief Miss Wurtz vom Altarraum aus.

Weitere Kostenlose Bücher