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Bis ich dich finde

Bis ich dich finde

Titel: Bis ich dich finde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ausgesprochen gut, und nicht einmal die Michigan-Geschichte
war zum handfesten Krach eskaliert.
    Daß Mrs. Oastlers frühere Klassenkameradinnen sich ebenfalls gut zu
amüsieren schienen, kam etwas überraschend. Die Ehemaligen hatten schon lange
nicht mehr – falls überhaupt je – soviel zur Schau gestellte Haut gesehen. Die
Sporthalle von St. Hilda bebte; auf dem CD -Spieler
lief nonstop Bob Dylan.
    Aufgrund der Schilderungen seiner Mutter – sie hatte Jerry Swallow
als Traditionalisten bezeichnet – hätte Jack ihn eigentlich erkennen müssen.
Auf seinen Bizeps war eine hübsche Frau mit einer Schwesternhaube tätowiert;
traditionalistischer ging es kaum. Der Schriftzug auf Matrosen-Jerrys Hemd war
japanisch, desgleichen die Tätowierung auf seinem rechten Unterarm. »Ein Kazuo
Oguri«, verriet er Jack stolz. Jerry Swallow war also den ganzen Weg von New
Glasgow in Novia Scotia gekommen – ganz zu schweigen davon, daß er über hundert
Telefonate geführt hatte.
    »Veteranen halten Kontakt, Jackie.«
    Jack dankte ihm dafür, daß er den langen Weg auf sich genommen
hatte. »Das ganze Leben ist ein langer Weg, mein junger Freund«, sagte
Matrosen-Jerry. »Nova Scotia ist gar nicht so weit.«
    Später am Abend, als Jack meinte, er habe sich allen vorgestellt
– der Chor der Internatsschülerinnen leistete ihm Gesellschaft, eine Wache aus
Nicht-ganz-Jungfrauen –, erspähte er am anderen Ende der Sporthalle jemanden,
den er wiedererkannte. Aus dem CD -Spieler dröhnte
Bob Dylans »Rainy Day Women No. 12 & 35«, als er sich auf den schüchternen,
bekifften Mann zuschob, der unter dem Basketballkorb zur Musik hin- und
herpendelte. Sein verträumtes Gesicht, der graue Flaum auf seinem Kinn – als
hätte sein Barthaar sogar mit Ende Vierzig oder Anfang Fünfzig [712]  noch nicht
richtig zu wachsen begonnen – und etwas Selbstgenügsames in seinem ständig
niedergeschlagenen Blick, das alles erinnerte Jack an jemanden, dessen
Vertrauen in das eigene bescheidene Talent nie sonderlich groß gewesen war.
(Weder jetzt noch damals, als er auf dem Zeedijk Tatoeërer-Theos Lehrling
gewesen war.)
    »Nicht noch ein gebrochenes Herz«, hatte Alice zu Robbie de Wit
gesagt, als sie sich von ihm verabschiedet hatte. »Ich habe genug von Herzen,
egal ob gebrochen oder nicht.« Daher hatte sich Robbie mit Alice’ Signatur auf
seinem rechten Oberarm begnügt – das leicht verblichene Daughter
Alice, das Bobbie vorzeigte, als Jack sich ihm näherte.
    »Hörst du immer noch Zimmerman, Jackie?« fragte Robbie.
    Um sie herum greinte Bobs Refrain.
     
    But I would not feel so all alone,
Everybody must get stoned.
    »Ich höre immer noch Zimmerman, Robbie.«
    »Eigentlich spiele ich in einer anderen Liga als die Leute hier«,
sagte Robbie de Wit mit einer unsicheren Geste zum Rest der Sporthalle hin. »In
Amsterdam ist es nicht so gut für mich gelaufen.«
    »Das tut mir leid«, sagte Jack.
    »Jetzt bin ich in Rotterdam. Hab mein eigenes Studio, bin aber immer
noch Lehrling – wenn du verstehst, was ich meine. Es geht mir ganz gut«, sagte
er mit heftig nickendem Kopf. Der zurückweichende Haaransatz hatte Jack
zunächst getäuscht, ebenso wie der eiförmige Schädel und die tiefen Krähenfüße
in den Winkeln von Robbies fahlen, wäßrigen Augen.
    »Was ist in Amsterdam passiert, Robbie? Was ist mit Mom passiert?
Wieso ist sie von dort weggegangen?«
    »Ach, Jackie – geh nicht dorthin. Laß den toten Hund [713]  begraben
sein.« (Er meinte »Weck keine schlafenden Hunde«, aber Jack verstand ihn.)
    »Ich erinnere mich noch an die Nacht, als sie Prostituierte war.
Jedenfalls hat sie sich wie eine verhalten«, sagte Jack zu ihm. »Saskia und Els
haben sich um mich gekümmert. Du hast Mom ein bißchen was zum Rauchen gebracht,
glaube ich.«
    »Nicht, Jackie«, sagte Robbie. »Laß gut
sein.«
    »Mein Dad ist gar nicht nach Australien gefahren, stimmt’s?« fragte
Jack. »Er war die ganze Zeit in Amsterdam, stimmt’s?«
    »Dein Vater hatte eine Gefolgschaft, Jackie. Deine Mutter konnte
nicht anders.«
    »Womit konnte sie nicht anders?« fragte Jack.
    Robbie stolperte vorwärts und stürzte beinahe; er hielt Jack das
verblichene Daughter Alice auf seinem Unterarm hin,
als forderte er ihn heraus, ihm einen Schlag auf die Tätowierung seiner Mutter
zu versetzen. »Ich werde sie nicht verraten, Jack«, sagte Robbie. »Verlang das
nicht von mir.«
    »Entschuldige bitte, Robbie.« Jack schämte sich dafür, daß er auch
nur ein

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