Bis in alle Ewigkeit
Kopfkissen lag eine kleine Tafel Schokolade. Auf dem kleinen Tisch stand auf einer schneeweißen Serviette eine Schale mit einem Apfel, einer Birne, dunkelblauen Weintrauben und einem Zettel, der darüber informierte, dies sei »eine kleine Aufmerksamkeit für Sie, lieber Gast«. Über dem Nachtschränkchen neben dem Bett hing eine kunstvoll mit farbigem Garn gestickte Inschrift in drei Sprachen in einem geschnitzten Holzrahmen: »Bitte rauchen Sie nicht im Bett. Die Asche, die wir morgen früh hier finden, könnte Ihre sein!«
»Gut, mache ich nicht«, versprach Sofja.
Im Bad gab es eine geräumige Dusche mit einer Sitzbank und zahlreichen Massagedüsen, einen Haufen Handtücher und einen flauschigen Bademantel. Auf der Marmorablage neben dem Waschbecken entdeckte Sofja eine Batterie Shampoos, Cremes, Lotions und noch eine Menge anderer Dinge, sogar einen Kamm und Zahnseide.
Sie wollte sich am liebsten unter diese wunderbare Dusche stellen, sich dann in den Bademantel hüllen, das kleine Präsent der Direktion verzehren und eine Zigarette rauchen, natürlich nicht im Bett, sondern am Fenster mit dem Blick auf den nassen Park und die Hafenkräne in der Ferne. Sich schließlich in das riesige Bett unter dem herrlich leichten Federbett legen und in Ruhe ausschlafen. Und nicht zum Abendessen mit Subow gehen.
Und am nächsten Morgen, ohne sich zu verabschieden, zum Flughafen fahren. Die tausend Euro, die der Kurier gebracht hatte, reichten für ein Ticket nach Moskau. Das Hotel hatte die Firma bestimmt schon bezahlt. Ob sie das Geld dann wohl zurückzahlen müsste? Egal, sie würde es tun. Aber woher nehmen? Sie kannte niemanden, von dem sie es hätte leihen können.
Das kalte Wasser ließ sie wieder zu sich kommen. Sie wuschund kämmte sich, zog sich aber nicht um. Sie packte ihr Notebook aus, schaltete es ein und las ihre E-Mails.
»Hallo! Während du im Flugzeug gesessen hast, habe ich, der alte dicke Nolik-Alcoholic, was Interessantes für dich ausgegraben, liebe Knolle.
Auf einigen Fotos steht neben Tanja ein grauhaariger Offizier – ihr Ehemann. Eine hochinteressante Persönlichkeit, einer der Anführer der Weißen Bewegung, Oberst Pawel Nikolajewitsch Danilow. Wenn du willst, erzähle ich dir ausführlicher von ihm. Ich hatte erst Zweifel, ob er es ist, aber dann habe ich in den Memoiren der Sharskaja einen Hinweis gefunden und noch ein paar Bücher mit Weißgardistenmemoiren und Fotos herausgekramt. Er ist es, eindeutig.
Aber das ist noch nicht alles. Der Sohn der beiden, Michail Pawlowitsch Danilow, ist Militärhistoriker, Autor mehrerer profunder Monografien über den Zweiten Weltkrieg, zwei davon sind kürzlich bei uns erschienen, ich habe sie gelesen. Er lebt noch. Er ist neunundachtzig. Und er lebt in Deutschland, auf der Insel Sylt. Das ist nicht weit entfernt von Hamburg.
Ganz liebe Grüße von deiner Mutter. Morgen fahre ich mit ihr auf den Friedhof. Sie schickt dir Küsse, ich auch. Schreib mir bitte bald.
Dein Nolik.«
Moskau 1917
Es war hell geworden, aber nicht wärmer. Der Himmel war von einem weißlichen Schleier verdeckt, der glatt und flach war wie Milchglas. Blass schimmerte die Sonnenscheibe hindurch. Vom Skobelew-Platz drang hin und wieder Geschützdonner herüber, trocken knatterten Maschinengewehre. Die Straße schien menschenleer, doch wenn die Schüsse verklangen, hörteman Laub rascheln, Stimmen, Schritte und schweres Atmen ganz in der Nähe.
Agapkin betrachtete die dunklen Fenster der Häuser und lauschte.
»Lassen Sie uns gleich dorthin gehen, auf den Platz«, sagte der Professor. »Das ist näher als bis zur Snamenka.«
»Nein. Dort herrscht womöglich ein großes Durcheinander. Wir müssen auf jeden Fall erst zu den Patriarchenteichen.«
Agapkin hoffte, dass man den Professor im Stab überzeugen würde, seine normale Arbeit zu tun, also Verwundete zu versorgen, statt im Kugelhagel herumzulaufen.
»Sie müssen an seiner Seite sein, lassen Sie ihn keinen Augenblick allein. Sie tragen die Verantwortung für sein Leben. Halten Sie ihn in der Wohnung fest. Dort ist er sicher. Die Wohnung wird niemand anrühren. Schlimmstenfalls stellen wir eine zusätzliche Wache bereit. Ins Lazarett darf er nicht zurückkehren.«
Diesen Befehl hatte Agapkin am Abend zuvor erhalten. Er hatte versucht, den Professor sofort aus dem Lazarett zu bringen und nicht bis zum Dienstende am Morgen zu warten, aber das war ihm nicht gelungen. Sweschnikow musste zwei Schwerkranke überwachen und wollte
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