Bis in den Tod hinein
einem Möbelkatalog.
» Du hast Angst, dass jemand was über dich erfährt, nicht wahr?«, fragte sie, während sie einen Schluck des exklusiven Rotweins trank. » Wenn du nur irgendwo eine Schachtel Zigaretten liegen siehst, schlussfolgerst du daraus gleich eine komplette Geschichte über denjenigen, der sie zuletzt in der Hand hatte. Diese Ordnung hier ist deine Art, Spuren zu verwischen, oder?«
Boesherz zündete die Kerze auf dem Esstisch an und setzte sich dann zu Olivia auf die Couch.
» Meinst du denn, ich muss meine Spuren verwischen?«, fragte er und lockerte dabei den Sitz seiner Krawatte. » Alles, was wir tun, hinterlässt eine Signatur, daran können wir gar nichts ändern. Manchmal ist diese Signatur allein schon in sich schlüssig, manchmal ist sie nur der Teil eines Ganzen, das sich erst durch weitere Hinweise entschlüsselt. In so einem Fall muss man sammeln.«
» Sammeln?«, fragte Olivia nach.
» Wie im Fall von Jack. Er hinterlässt Hinweise in allem, was er tut, und sogar dann, wenn er etwas nicht tut. Ich sammle diese Hinweise wie Puzzleteile, die ich erst dann zusammensetzen kann, wenn ich genug davon habe.«
Olivia setzte sich ein Stück weiter auf und wandte sich ihrem Kollegen zu, als sie fragte: » Glaubst du, dass du deswegen keine Frau findest? Weil du immer sofort alles an ihnen siehst?«
Boesherz schwenkte seinen Quercus im Glas und verdrehte genießerisch die Augen, als das Aroma des Eichenholzes zu ihm hinüberströmte.
» Die Liebe lebt vom Geheimnis«, entgegnete er dann. » Es sind die Rätsel, die die Neugier schüren. Herausfinden zu wollen, was es an einer Frau zu entdecken gibt, welche Überraschungen sie bereithält. Ich wünschte, ich könnte das auch mal erleben. Aber meistens sehe ich sie nur einmal an und erkenne genug, um den Rest gar nicht mehr wissen zu wollen.«
» Ja, die Geheimnisse der anderen sind immer nur so lange reizvoll, bis man sie kennt«, versuchte Olivia Boesherz zu beruhigen. » Spätestens nach einem Jahr ist die Luft raus, dann beginnt der Alltag. Und nach noch mal einem Jahr heißt es: Schön war die Zeit, aber jetzt ziehe ich weiter zu jemand anderem mit neuen, reizvollen Geheimnissen. Ich beteilige mich jedenfalls nicht mehr an diesem Spiel. Weißt du, wie viele Singles in Berlin leben? Fast dreißig Prozent!«
» Nur dass die einen gern dazugehören und die anderen nicht.«
» Also, was mich betrifft – ich habe meine Altersversorgung, Kinder will ich nicht, und mit den Männern bin ich durch.«
Als Olivia Severins Interesse an ihren Ausführungen bemerkte, nutzte sie die Gelegenheit, um auf etwas zu sprechen zu kommen, das ihr schon lange am Herzen lag.
» Was siehst du eigentlich an mir?«
Unerwartet stellte Boesherz sein Weinglas auf dem Couchtisch ab und erhob sich.
» Ich gucke mal nach dem Winzergulasch«, wiegelte er ab und ging in seine offene Küche hinüber.
» Na, komm schon«, setzte Olivia nach. » Ich fange schon nicht an zu weinen.«
Als Severin erneut nicht reagierte, stand sie schließlich auch auf und folgte ihrem Kollegen.
» In zehn Minuten können wir essen«, stellte Boesherz fest, nachdem er einen Blick in den Topf geworfen hatte, in dem die Rheingauer Spezialität vor sich hin köchelte. Dann wandte er sich Olivia zu und lehnte sich dabei lässig gegen seine Arbeitsplatte. » Ihr denkt immer alle, ich löse meine Fälle dadurch, dass ich alles sehe und daraus Schlussfolgerungen ziehe. Aber das ist nur ein kleiner Teil des Ganzen. Ich sehe zwar wirklich viel, aber manchmal kann das auch verwirrend sein. Mit Logik allein findet man keine Mörder. Und keine Frau.«
Olivia nickte.
» Die handeln nämlich nicht logisch«, gab sie ihrem Kollegen recht. » Weder die Mörder noch die Frauen.«
Severin lachte. Dann gestand er: » Das ist doch eigentlich furchtbar. Ich kann dir ohne weiteres sagen, wie alt die Geliebte unseres Kletteraffen ist, aber welcher Drang seinen Mörder dazu inspiriert hat, ihn von diesem Haus stürzen zu lassen– das weiß ich nicht.« Boesherz schmunzelte, als er Olivias Blick bemerkte. » Sie ist um die fünfundzwanzig«, sagte er dann. » Ich habe den Bund seiner Unterhose gesehen, eine Ginch Gonch. Sein Anzug war von Boss, sein Mantel von Bugatti, seine Schuhe von Dolce & Gabbana. Da passt eine Teenagerunterhose nun wirklich nicht ins Stilkonzept. Deswegen nehme ich an, dass eine Frau sie ihm gekauft hat. Wäre sie älter als fünfundzwanzig, hätte er aber entweder eine Calvin Klein
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