Bis in den Tod hinein
Ressortleiter. » Es gibt Schlimmere, mit denen man zusammenarbeiten kann.«
Bei dem Gedanken, der ihm plötzlich in den Sinn kam, zuckte Anselm, kniff seine Augen zusammen und musste viermal mit dem Oberkörper nach vorn wippen. Dann ballte er seine Hände zu Fäusten. Seine Mission stand unmittelbar vor ihrer Vollendung, doch eine Unstimmigkeit quälte ihn dennoch fast rund um die Uhr. Entschlossen griff er zu seinem Telefon.
» Es dauert nicht mehr lange«, begann er, als sein Gesprächspartner das Telefonat angenommen hatte. » Heute erfülle ich die Drei. Und dann erwarte ich…«
» Sie erwarten?«, wurde er rüde unterbrochen. » Sie haben Fehler gemacht, und nicht nur einen. Bei unserer letzten persönlichen Begegnung wäre unsere Zusammenarbeit fast aufgeflogen! Muss ich Sie etwa an unser Abkommen erinnern? Wenn irgendjemand etwas ahnt, kann ich die Vereinbarung nicht mehr einhalten. Noch eine Abweichung vom Plan, und ich betrachte unser Geschäft als gebrochen. Sie kennen die Konsequenzen!«
So aufgebracht Anselm auch war, er konnte nicht abstreiten, dass seine Lage es ihm nicht erlaubte zu widersprechen.
» Ab jetzt wird nichts mehr schiefgehen«, versprach er daher.
» Dann beeilen Sie sich jetzt besser mit dem Rest«, stellte die Person am anderen Ende der Leitung fest, ohne dabei unruhig zu wirken. » Bekommen Sie das hin, Drexler?«
» Moldenhauer wird nach Plan verlaufen«, versprach Anselm. » Ich fahre jetzt zu ihm.«
Anstelle einer Antwort vernahm Drexler nur ein leises Knacken in der Leitung, bevor ein Tonsignal ihm zu verstehen gab, dass die Verbindung abgebrochen war.
Anselm überflog noch einmal den Bericht über Kai Jureks Tod. Er war noch immer über die Umstände erzürnt, in die er geraten war, und so begann sich langsam eine Vorstellung in ihm auszubreiten. Sie war eigentlich ungeheuerlich, doch sosehr Anselm sich auch für seinen eigenen Gedanken schämte, sosehr gefiel er ihm auch.
Was würdest du schon verlieren, wenn du es einfach tätest? Es geht um deine Mission, da sollte doch jedes Mittel recht sein.
Verzweifelt verbarg Anselm das Gesicht in seinen Händen, als ihm eine Träne die Wange hinunterlief.
» Der Artikel erscheint morgen«, flüsterte er beim Blick auf Bittrichs Report, nachdem er sich wieder gefasst hatte. » Warum nicht?«
Mit einem verzweifelt wirkenden Lächeln scrollte Anselm die Textdatei jetzt an eine bestimmte Stelle, fügte ein paar Worte in den Artikel ein und speicherte die Änderung ab. Dann erstellte er eine Mail an Sonja, hängte die neue Version von Bittrichs Text an und schrieb dazu: Geschätzte Kollegin, anbei der Artikel von Jan Bittrich. Der Text ist in keiner Hinsicht zu beanstanden.
Und mit einem Lächeln, das bei einem Außenstehenden vermutlich Gänsehaut ausgelöst hätte, fügte er hinzu: Leiten Sie den Text genau so weiter! Herzlichst, Ihr Anselm Drexler.
Dann klickte er auf den Button, über den die Nachricht abgesandt wurde, und sah auf das Telefon, durch das er eben noch das Gespräch geführt hatte, das ihn auf seine neue Idee gebracht hatte.
Das hast du jetzt davon.
34
Steve Moldenhauer drückte seine selbstgerollte Zigarette in einem der Aschenbecher aus, die auf dem vollkommen überfüllten Couchtisch standen. Leere und halb volle Bierdosen standen oder lagen zwischen teils ungeöffneten Briefen, einem verkrusteten Senfglas, schimmeligen Tellern und Fernbedienungen von Geräten, die teilweise schon gar nicht mehr existierten. Als Moldenhauer sich gerade daranmachte, seine nächste Zigarette anzuzünden, klopfte es an seiner Wohnungstür.
» Verpisst euch«, murmelte er in sich hinein, blieb ungerührt auf seinem schmutzigen Sofa sitzen und starrte desinteressiert auf den Fernseher.
Wenig begabte Laiendarsteller versuchten sich gerade darin, fiktive Charaktere nach Maßgabe grober Regieanweisungen darzustellen. Bald verfielen sie jedoch ausnahmslos darein, sich selbst zu spielen. Wenn auch ohne dies zu bemerken.
Moldenhauer hatte an diesem Tag einen Termin bei seinem Rechtsanwalt versäumt. Es war ihm nicht danach gewesen, in die unfreundliche Kälte hinauszugehen, schon gar nicht in den frühen Vormittagsstunden. Stattdessen war er zu Hause geblieben, hatte sich eine Tiefkühlpizza aufgebacken und den Beständen an Bier und Whisky zugesprochen, die in seiner dürftigen Wohnung gehortet waren. Er hatte ein paar Telefonate mit flüchtigen Bekannten geführt, die er selbst als Freunde bezeichnete, und sich darum
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