Bis Mittwoch unter der Haube
aus wie ein kleines Schloss. Es gab ein Hauptgebäude mit zwei Seitenflügeln. Samantha zählte drei Stockwerke und nahm an, dass diese auf einem mächtigen Kellergewölbe standen. Blake hatte ihr gesagt, das Haus hätte fünfunddreißig Zimmer. Dazu kam noch der Wohnbereich der Angestellten. Er hatte von einem Ballsaal und einem Wintergarten erzählt, einer Bibliothek mit mehr Büchern, als ein Mensch jemals lesen konnte, und von Salons, die nach der Farbe des Dekors benannt waren. »Der blaue Salon liegt gleich neben der Eingangshalle und neben dem roten.«
Als sie aus der Limousine in Blakes Welt stieg, fühlte Samantha sich ein klein wenig wie Aschenputtel vor dem Ball. Nur dass hier die Uhr nicht eine Nacht, sondern ein Jahr lang ticken würde. Eigentlich hätte Samantha sich nicht so viele Gedanken machen müssen. Aber sie hatte Angst, am Ende mit einem gläsernen Schuh in der Hand und jeder Menge Reue im Herzen dazustehen.
»Bist du bereit?«, fragte Blake. Dann führte er sie ins Haus.
Falls Gwen sich irgendwie an Samanthas Gegenwart an Blakes Seite störte, verbarg sie es perfekt. Sobald Blake Sam in das imposante Herrenhaus gebracht hatte, hängte seine Schwester sich an Sams Arm und ließ sie nicht mehr los. Sie war jung, schön und lebhaft – und ohne Zweifel sehr verwöhnt. Linda begrüßte Sam mit einem freundlichen Lächeln und stellte sie einer Tante, einem Onkel und zwei Cousins vor. Die beiden musterten sie kritisch.
Auch die Angestellten standen bereit. Sie nahmen das Gepäck entgegen, servierten den Tee und zogen sich dann diskret zurück.
»Du weißt gar nicht, wie ich mich freue, eine Frau in meinem Alter hierzuhaben«, sagte Gwen zu Samantha. Während Blake seinen englischen Akzent versteckte, schwelgte Gwen geradezu darin.
»Du willst doch wohl nicht behaupten, du wärest bislang einsam gewesen«, sagte Linda zu ihrer Tochter.
»Nein. Aber Samantha gehört zur Familie. Das ist doch etwas anderes. Nicht wahr, Samantha? Ich hatte nie eine Schwester, der ich mich anvertrauen konnte.« Gwen schenkte ihr ein bezauberndes Lächeln, bei dem ihre weißen Zähne nur so blitzten, und Samantha bekam prompt Gewissensbisse. Sie selbst hatte eine Schwester, aber Jordan war nicht gesund genug für die Art Schwesternbeziehung, die Gwen vorschwebte.
Sam war, als bekäme sie durch Blake eine zweite Chance, so etwas zu erleben. Aber die Zeitbombe tickte, der Zünder war auf ein Jahr eingestellt. »Ja, wahrscheinlich hast du recht«, sagte Samantha.
»Der Tee steht im roten Salon bereit, Blake. Komm, wir machen es uns dort gemütlich und du erzählst uns von deiner Zeitrafferromanze und eurer Hochgeschwindigkeitshochzeit.«
Blake schob sich neben Samantha und nahm sie am Arm. Seine Wärme neben sich zu spüren, hatte eine beruhigende Wirkung auf sie. Er beugte sich zu ihr und flüsterte ihr ins Ohr: »Kommst du klar?«
Samantha bemerkte, dass Blakes Cousin Howard sie mit zusammengekniffenen Augen und heruntergezogenen Mundwinkeln beobachtete. Sie hob Blakes Hand und küsste seine Fingerknöchel. Das Strahlen im Gesicht ihres Ehemannes vertrieb einige ihrer düsteren Gedanken an die Zukunft. »Ja, alles in Ordnung«, flüsterte sie und Blake drückte ihre Hand.
Linda geleitete sie in den roten Salon, einen Raum mit einer gewölbten Decke und einer Tapete in Rot, Grau und Weiß. Das Tapetenmuster wirkte trotz der kräftigen Farben nicht aufdringlich. Blumengemälde und Seidenvorhänge gaben dem Raum etwas Feminines und auf dem steinernen Kaminsims stand ein wunderhübscher Blumenstrauß.
Die Männer machten sich noch vor der ersten Tasse Tee über die süßen Küchlein und die Sandwiches auf dem Beistelltischchen her.
»Warst du schon einmal in Europa?«, fragte Linda, während sie dunklen Tee in kleine Tassen goss. Sie war zwanglos zum Du übergegangen.
»Ja. Aber damals war ich noch auf der Highschool.«
»Dann kennst du sicher die Tradition des Nachmittagstees«, sagte Gwen.
»Eine prima Ausrede, um sich mitten am Tag einen Snack zu genehmigen«, sagte Blake.
Gwen machte eine wegwerfende Handbewegung. »Hör nicht auf meinen Bruder. Er ist gegen alles allergisch, was ihm auch nur ansatzweise englisch vorkommt. Deshalb war hier sicher niemand überrascht, als wir hörten, dass er eine amerikanische Frau geheiratet hat.«
»Gwen!«, sagte Linda tadelnd.
»Stimmt doch!«
Samantha lachte.
»Es ist doch nicht meine Schuld, dass die europäischen Frauen mich immer so schnell gelangweilt
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