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Bis zum letzten Atemzug

Bis zum letzten Atemzug

Titel: Bis zum letzten Atemzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudenkauf
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Neuem anzufangen.
    Ich erinnere mich daran, mich auf dem Gelände der Farm umgesehen zu haben, ob jemand in der Nähe war. Ich war allein. Also hob ich meinen Rock und kletterte durch die Latten des Zauns, um mich zu Frisbee in die Mitte der Koppel zu setzen. Dort warteten wir darauf, dass die neugierigen Kühe wieder näher kamen. Ihre Köpfe schwangen von einer Seite zur anderen, ihre Nüstern blähten sich, bis sie so nah waren, dass ich den Himmel nicht mehr sehen konnte.
    »Frisbee, bleib«, hörte ich die strenge Stimme meines Vaters. Frisbee blieb. »Geht zur Seite, Mädchen«, sagte mein Vater zu den Kühen, und sie trotteten langsam davon und gaben den Blick auf Frisbee und mich frei. Mein Vater kam in den Pferch, hob mich hoch und nahm mich in seine Arme. Seine Miene wirkte angespannt und besorgt.
    »Mach dir keine Sorgen, Daddy, mir geht es gut.« Ich erinnere mich, das zu ihm gesagt zu haben, während ich mit meinen pummligen Fingern seine Wange tätschelte.
    »Halt dich von dem Pferch fern, Holly«, sagte er wütend. »Du hast die Kühe erschreckt.« Und so schien es immer zu sein.
    Als ich jung war, bestand die Welt aus der Farm und das sie umgebende Land. Wenn ich nach Norden und Osten schaute, sah ich die Weiden, auf denen die Rinder grasten; grün und leicht abfallend und mit in regelmäßigen Abständen gesetzten Zaunpfosten. Zum Süden hin erstreckten sich die Maisfelder, die über Nacht zu einem Dschungel aus rauen Stängeln und fedrigen Quasten wurden. Ich liebte es, über die Felder zu stromern, die Halme beiseitezuschieben, deren raue Blätter einen roten Ausschlag auf meinen Armen hinterließen. Ich wusste nie, wo ich als Nächstes hingehen, wo ich am Ende herauskommen würde. Das war der Grund, warum ich es immer wieder tat. Das und um meine Eltern zur Weißglut zu bringen.
    Westlich von unserer Farm lag Broken Branch, wo ich jeden Sonntag mit meiner Familie zur Kirche ging. Aber selbst damals fühlte sich der Ort zu klein für mich an, zu vertraut, und ich konnte es nicht erwarten, ihm zu entkommen.
    Meine Mutter öffnet ihre Augen. »Ertappt«, sagt sie schuldbewusst. Das Neonlicht in meinem Krankenzimmer ist wenig schmeichelhaft. Ihre Haut hat einen ungesunden gelblichen Schimmer angenommen, und mir fällt auf, wie sehr sie gealtert ist, seitdem ich sie das letzte Mal gesehen habe.
    Ich lächle sie an. »Wenn jemand verdient hat, zu schlafen, dann du, Mom. Ich kenne niemanden, der so hart arbeitet, wie du es dein ganzes Leben lang getan hast.«
    »Dein Vater arbeitet noch mehr als ich«, erwiderte sie bescheiden.
    »Um wie viel Uhr kommt ihr Flieger an?« Obwohl ich die Antwort kenne, stelle ich die Frage zum wohl hundertsten Mal.
    »Um vier Uhr morgen Nachmittag.« Meine Mutter steht auf und streckt die Arme über den Kopf. »Sie kommen direkt vom Flughafen hierher.«
    »Ich kann es kaum erwarten, sie zu sehen.« Ich fühle mich wie ein Kind vor Weihnachten.
    »Ich weiß«, sagt meine Mutter. »Und sie können es auch kaum erwarten, dich zu sehen. Dein Vater freut sich auch schon auf dich. Er wird Augie und P. J. sicher und wohlbehalten zu dir bringen.«

WILL
    Verna und Will zogen sich Stühle an einen bereits voll besetzten Ecktisch in Lonnie’s Café heran. In der Luft lag der Geruch von frittierten Zwiebeln und Kaffee. Offensichtlich reichte ein Bewaffneter in der örtlichen Schule nicht aus, um den Einwohnern den Appetit zu verderben. Aber als Will sich umschaute, war leicht zu erkennen, wer Angehörige in der Schule hatte und wer nur Zuschauer in jemand anderes Albtraum war.
    Drei Tische weiter arbeitete sich eine Gruppe Fremder durch Lonnies Vorspeisenplatte und Steaksandwiches. Reporter, schätzte Lonnie, als er den Trenchcoat des einen Mannes sah. Der Mantel war nicht annähernd warm genug für einen Tag wie diesen, und auch die tadellos frisierten Haare der Frau waren verräterisch. Die beiden anderen Leute am Tisch versuchten unauffällig, den Gesprächen der anderen Kunden zu lauschen, wobei sie hektisch in ihre Notizbücher kritzelten.
    »Die haben vielleicht Nerven«, sagte Ed Wingo, ein vogelscheuchendünner Mann mit gebeugten Schultern und einem losen Mundwerk. Ed war außerdem der wohl reichste Mann im Ort, mit über dreihundert Hektar Land und einer der erfolgreichsten Schweinemasten im gesamten Landkreis. »Man sollte sie schnellstmöglich aus der Stadt vertreiben«, fügte er bitter hinzu.
    »Das ist eine tolle Idee, Ed«, sagte Verna trocken. »Wir überwältigen

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