Bis zum letzten Atemzug
beschließe ich und versuche, die Erinnerung beiseitezuschieben. Ich lasse das Handy auf den Beifahrersitz fallen und schwöre, ihn wegen Behinderung polizeilicher Ermittlungen oder etwas Ahnlichem anzuzeigen, sollte er noch einmal versuchen, Kontakt mit mir aufzunehmen. Als ich über meine Schulter schaue, sehe ich einen Strom Schüler aus einer weit entfernten Ecke des Gebäudes auf uns zulaufen. Ich trete auf die Bremse, was das Heck meines Wagens ausbrechen lässt. Irgendwann greifen die Reifen endlich, und ich schaffe es, das Auto umzudrehen, sodass ich in Richtung Schule gucke. Schwer atmend nehme ich den Anblick in mich auf. Um die zwanzig Schüler, alles Teenager, so wie es aussieht, laufen durch den Schnee auf den Parkplatz zu, Schock und Panik zeichnen sich auf ihren Gesichtern ab. Eine der Schülerinnen rutscht aus und stürzt zu Boden. McKinney hat es geschafft, den Krankenwagen aus Broken Branch sowie einen aus dem Nachbarort hierherzuschaffen, und sofort ist einer der Rettungssanitäter an der Seite des Mädchens, um ihr zu helfen. Ich frage mich, ob Tim auch auf dem Weg ist, und wenn ja, warum er mich noch nicht angerufen hat.
Ich stellte die Automatik des Wagens auf Parken und kehre zu Fuß zurück zu McKinney und den anderen Officers. Ich gehe weiter, auf das Fenster im Erdgeschoss zu, durch das die Kinder entkommen sind. Ein zerrissenes Fliegengitter liegt im Schnee, und ein junges Mädchen sitzt auf der Fensterbank. Ein Bein baumelt über einer Schneewehe. Das Mädchen sieht immer wieder in den Klassenraum, als wenn sie dort etwas vergessen hätte.
»Komm schon«, rufe ich und winke ihr zu. Erschrocken huscht ihr Blick zu meinem Gesicht, und einen Moment lang schauen wir einander an. Dann sehe ich es, eine leichte Anspannung in ihren Mundwinkeln, das Straffen ihrer Schultern. »Nein, nein«, rufe ich ihr hinterher, als sie ihr Bein wieder über das Sims zurück ins Gebäude zieht. »Komm schon!«, brülle ich laut. »Hier lang!« Sie schaut nicht zurück und verschwindet im Klassenzimmer. »Verdammt«, murmel ich, als ich zu dem nun leeren Fenster schaue.
MRS OLIVER
Von ihrem Stuhl aus, auf dem sie auf Befehl des Mannes Platz genommen hatte, rief Mrs Oliver dem kleinen Mädchen, das im Schrank eingesperrt war, zu: »Mach dir keine Sorgen, Lucy! Alles wird gut!« Sie wischte sich heimlich über die Augen und versuchte, die Tränen zurückzudrängen, bevor sie fallen konnten. In dem Moment sah sie Jason Ellery. Er stand vor der Tür und schaute durch das kleine, eingelassene Fenster herein. Hoffnung machte sich in ihr breit, ein aufgeregtes Kribbeln in ihrem Magen, das aber schnell von Angst vertrieben wurde. Der Mann war so schon wütend genug, wer konnte wissen, was er tun würde, falls Mr Ellery, der noch sehr jung und unerfahren war, ihn herausforderte?
»Mein Gott, folgt hier denn niemand dem vorgeschriebenen Plan für so einen Vorfall?«, fragte der Mann verärgert. Er zielte mit seiner Pistole auf die Tür, und Mr Ellery duckte sich. »Öffnen Sie die Tür«, sagte er laut. Niemand rührte sich, und Mr Ellery tauchte nicht wieder auf. »Ich sagte, öffnen Sie die verdammte Tür!« Sekunden vergingen, dann ertönte ein leises Klicken, und die Tür schwang auf. Jason Ellery stand mit erhobenen Händen vor ihnen.
»Hey Mann«, sagte er entschuldigend. »Ich habe Weinen und so ein komisches Klopfen gehört. Ich dachte, vielleicht ist jemand verletzt und ich sehe besser mal nach, ob ich helfen kann.«
Der Bewaffnete ging langsam, beinahe entspannt auf ihn zu. »Schlechte Idee«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Sie sind kein Polizist?«
»Nein, nein«, versicherte Jason ihm und zog sich langsam zurück. »Ich bin Lehrer. Ich bin nur der Lehrer der achten Klasse.«
»Kommen Sie her«, sagte der Mann. Mr Ellery ging weiter rückwärts. »Ich sagte, kommen Sie her.«
»Hey, ich will keinen Ärger. Ich bin nur gekommen, um zu sehen, ob ich …« Mr Ellery schaute flehend auf, aber bevor er seinen Satz zu Ende bringen konnte, holte der Mann aus und schlug ihn mit der Waffe gegen die Schläfe. Mr Ellery fiel auf die Knie und hob die Arme, um weitere Schläge abzuwehren.
Mrs Oliver überlegte, zu Mr Ellerys Rettung zu eilen. Sie glaubte zwar nicht, viel ausrichten zu können, aber sie könnte dem Mann auf den Rücken springen und ihn zu Boden drücken. Sie musterte die Gesichter ihrer Schüler; einige der Kinder hatten den Kopf in den Armen vergraben, andere saßen vor Furcht ganz aufrecht
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