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Bis zum letzten Atemzug

Bis zum letzten Atemzug

Titel: Bis zum letzten Atemzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudenkauf
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der Jeans ab.
    »Das ist Blut«, flüstere ich. Beth stöhnt leise auf, und ich weiß, dass sie an ihren Vater denkt. Ich denke an Mr Ellery.
    »Wir hätten einen Schuss gehört«, versuche ich sie zu beruhigen. Sie nickt heftig, als wenn es wahr wird, wenn sie mir nur zustimmt. »Sollen wir weitergehen?«, frage ich, und sie nickt wieder.
    Unsere Klassenkameraden sind vermutlich alle schon ganz lang und fest von ihren Eltern umarmt worden. Sie werden vermutlich gerade in ihre warmen, kuscheligen Häuser gefahren, wo ihre Mütter dankbar Tränen weinen werden, während sie ihnen ihr Lieblingsessen kochen. Ihre Dads werden neben ihnen auf dem Sofa sitzen und sie dazu bringen, wieder und wieder zu erzählen, wie Mr Ellery verschwunden ist und sie mit vereinten Kräften das Fliegengitter herausgedrückt haben. Sie werden ihre Köpfe schütteln in dem Wissen, wie anders dieser Tag für sie hätte ausgehen können.
    Ich weiß das, weil es genau das ist, was mein Vater an dem Tag des Feuers gemacht hat. Nachdem er mich und P. J. mit zu sich nach Hause genommen hat, wo wir duschen konnten und alte T-Shirts und Jogginghosen von Lori, unserer Stiefmutter, anzogen. Nachdem P. J. eingeschlafen war, trug mein Dad ihn in das kleine Gästezimmer, und als Lori in ihrem Schlafzimmer verschwunden war, was sie oft tat, wenn ich da war, setzten mein Dad und ich uns zusammen auf die Couch. Er schlang seinen Arm um mich, und ich legte meinen Kopf auf seine Schulter. Es fühlte sich an, als wäre es Jahre her, dass ich das getan hatte. Ich erzählte ihm alles über das Feuer und den Rauch und den fürchterlichen Geruch. Was ich an meinem Dad besonders liebe, ist, dass er nicht versucht, alles wiedergutzumachen; er kann einfach nur dasitzen und zuhören. Ich schätze, er hat das Gefühl, kein Recht dazu zu haben, mir zu sagen, was ich tun soll. Wir verbringen nicht viel Zeit miteinander, und P. J. dabeizuhaben macht die Sache noch komplizierter.
    »Augie«, sagte mein Vater an dem Abend nach einer Weile zu mir. Er schaute sehr ernst, beinahe ängstlich drein. Ich spürte, wie sich mein Magen zusammenzog. Mein Dad hatte niemals Angst. Er war immer der, der grinste und lachte. Mr Sunshine nannte meine Mom ihn oft, aber sie meinte es nicht nett. »Augie«, wiederholte er, als brauche er Zeit, um die richtigen Worte zu finden. »Deine Mom wird sehr lange im Krankenhaus bleiben müssen.«
    »Ich weiß«, erwiderte ich. Ich wollte nicht mehr darüber sprechen, wollte nicht darüber nachdenken. Ich wollte einfach nur mit meinem Dad auf der Couch sitzen und mir irgendeine blöde Fernsehsendung anschauen.
    »Ich will nur, dass du weißt, du bist hier jederzeit willkommen und kannst bleiben, solange du willst.« Er drückte meine Schulter, und ich entspannte mich. Das war genau das, worauf ich gehofft hatte. »Lori und ich haben darüber gesprochen. Wir werden das Extrazimmer so einrichten, wie es dir gefällt.«
    Ich verspürte einen leichten Anflug von Panik. »Was ist mit der Schule?«
    Mein Dad schüttelte den Kopf. »Sie liegt auf dem Weg zu Loris Arbeitsstelle. Sie kann dich hinbringen und abholen. Wir haben schon alles genau geplant.« Zum ersten Mal an diesem Tag lächelte mein Dad.
    Ich stieß erleichtert den Atem aus. »P. J. und ich werden euch ganz viel helfen«, versprach ich ihm. »Ich kann kochen, und P. J. weiß, wie man Wäsche wäscht …« Meinem Vater fiel das Lächeln aus dem Gesicht. Es verschwand einfach. »Auf gar keinen Fall!«, sagte ich laut und zog mich aus seiner Umarmung zurück. Er schaute nervös zu dem Zimmer, in dem P. J. schlief.
    »Augie«, sagte er erschöpft, als wäre es seine Mutter, die von den Flammen verletzt worden war, die alles zerstört hatten, was sie besaßen. Er rieb sich mit der Hand über den kahlen Schädel. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und rutschte so weit von ihm ab, wie es die Couch zuließ. »Wir mögen P. J., er ist ein toller Junge. Aber Lori und ich haben darüber gesprochen, und wir finden, es wäre besser, wenn P. J. bei seiner Familie bleibt.«
    » Ich bin seine Familie.« Ich versuchte mit aller Macht, leise zu sprechen. Ich wollte nicht, dass P. J. unsere Unterhaltung hörte. Außerdem wusste ich, dass Lori hinter der Tür oder einer Ecke lauerte, lauschte, nur darauf wartete, was als Nächstes passieren würde. Sie war so ein Feigling.
    »Augie«, sagte er sanft. »Er ist nicht mein Sohn.« Darauf konnte ich nichts sagen, also blieb mir nichts übrig, als ihn

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