Bis zum letzten Atemzug
anzurufen …«
»Will«, unterbrach ihn Marlys scharf. »Wenn du dich unvermittelt in einem Loch wiederfindest, ist das Erste, was du einstellen solltest, das Graben.« Will verstummte. »Sag mir einfach nur, was los ist«, beendete sie ihren Satz etwas sanfter.
»Ich weiß auch nichts Genaues, Marlys«, gestand Will hilflos. Er rieb sich die Augen. »Ich weiß nur, dass sie bis jetzt noch nicht aus der Schule gekommen sind. Einige der Kinder schon, aber weder P. J. noch Augie.«
»Sie bringen es hier in den Nachrichten«, erzählte Marlys ungläubig. »Gloria hat mich angerufen, und ich habe in einem der Gemeinschaftszimmer einen Fernseher gefunden. Sie zeigen ein Bild der Broken Branch School, die mit Polizeiband abgesperrt ist. Sie haben sogar Jay Sauters Wohnmobil auf dem Parkplatz gezeigt. Aber sie sagen nichts. Sie verraten uns nicht, wer in der Schule ist und was sie wollen. Ich weiß nicht mal, ob es überhaupt mehrere sind. Was ist da los?«
»Du weißt genauso viel wie ich, Marlys. Die Gerüchte reichen von einem der Schule verwiesenen Exschüler über einen gefeuerten Lehrer bis zu einem Terroristen. Verna glaubt, es könnte vielleicht Ray sein.«
Marlys schwieg einen Moment, und Will dachte, dass sie vielleicht aufgelegt hatte, um den nächsten Flieger nach Broken Branch zu erwischen. »Das kann ich nachvollziehen«, sagte sie da leise. »Was soll ich Holly sagen?« Sie hielt inne. »Ich weiß nicht mal, ob ich ihr überhaupt davon erzählen soll.« Die Worte waren mehr an sie selbst als an Will gerichtet. »Sie müssen da heil wieder rauskommen«, sagte sie schließlich mit Nachdruck. Will wusste, was sie meinte. Endlich hatten sie ihre Tochter wiedergefunden, ihre Enkelkinder kennengelernt. Ja, es hatte einer Katastrophe bedurft, damit das geschehen konnte, aber nun war es passiert, und es war ihre Chance, Wills Chance, mit Holly alles wieder ins Reine zu bringen. Auf gar keinen Fall könnte er ohne die ihm anvertrauten Kinder in ihr Krankenzimmer zurückkehren.
»Sag Holly noch nichts, Marlys. Ich werde alles tun, was ich kann, um herauszufinden, was genau hier vor sich geht. Es tut Holly nicht gut, wenn sie sich Sorgen macht. Sie muss sich darauf konzentrieren, gesund zu werden. Ich rufe dich von jetzt an jede Stunde an, okay?«
»Okay«, erwiderte Marlys, obwohl sie nicht sonderlich überzeugt klang. »Im Fernsehen sieht es aus, als würde es bei euch ziemlich stark schneien.« Will erlaubte sich ein Lächeln. Wenn Marlys übers Wetter sprach, war das ein sicheres Anzeichen dafür, dass sie ihm vergeben hatte.
»Es schneit wie Hölle«, bestätigte er erleichtert. Nachdem sie sich verabschiedet hatten, steckte er das Handy in die vordere Tasche seines Overalls, bog auf den Highway ab und machte sich auf die zwanzigminütige Fahrt zur Farm der Craggs.
MEG
Ich versuche es noch einmal bei Randall, leider ohne Erfolg, und Stuart hört nicht auf, mir diese hirnverbrannten SMS zu schicken. Ich weiß, dass er leidenschaftlich darum kämpft, seine Story zu kriegen, und dabei auch vor extremen Mitteln nicht zurückschreckt. Vor ein paar Jahren hat der Des Moines Observer für Stuart arrangiert, eine Einheit der Iowa Army National Guard in Afghanistan zu besuchen. Durch die Augen des zwanzig Jahre alten Rory Denison berichtete er sowohl über die stets spürbare unterschwellige Angst als auch über die lähmende Profanität des Alltags in einem Kriegsgebiet. Stuarts Artikel konzentrierte sich auf die ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen einer jungen Afghanin und Denison. Es war eine berührende Geschichte, die sogar mir die Tränen in die abgestumpften Augen trieb, als Stuart sie mir ganz zu Anfang unserer Beziehung erzählte. Traurigerweise wurde Denison von einer am Straßenrand deponierten Bombe getötet und ließ das junge Mädchen allein und schwanger in Afghanistan zurück. Nachdem der Artikel veröffentlich worden war, versuchte Denisons Familie mit allen Mitteln, das junge Mädchen und ihr Enkelkind zu finden, doch ohne Erfolg. Stuart gewann für seinen Bericht den Pritchard-Say-Preis und festigte damit seinen Ruf als Iowas höchstdekorierter investigativer Reporter.
Nachdem ich Stuarts letztes investigatives Stück über den Angriff und die Vergewaltigung von Jamie Crosby samt seiner dreisten Erklärung des Vorfalls gelesen hatte, brauchte ich einen Moment, um mich von dem Schock zu erholen. Dann rief ich sie an. Ich wusste, ich musste die Unterhaltung vorsichtig angehen. Der Artikel
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