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Bis zum letzten Atemzug

Bis zum letzten Atemzug

Titel: Bis zum letzten Atemzug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gudenkauf
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nur weil ich gesagt habe, dass es sicher ist, die Schule zu verlassen.
    Ich atme tief durch und mache mich an den Aufstieg die Treppe hinauf. Weil ich meine durchnässten Schuhe in der Sporthalle gelassen habe, kribbeln meine Füße auf den kalten Fliesen. Ich habe keine Ahnung, was ich tun soll, wenn ich erst einmal oben angekommen bin. Ich kann ja schlecht an die Tür klopfen und freundlich bitten, eingelassen zu werden. Ich lege nicht besonders Wert darauf, erschossen zu werden.
    Ich habe erst ein paar Schritte gemacht, da höre ich, wie eine Tür geöffnet wird und jemand mir leise zuflüstert: »Hey, was machst du da?« Ich stolpere und stoße mir das Knie an der Stufe vor mir. Ich drehe mich um, sodass ich mich hinsetzen kann, und reibe mir die Kniescheibe. Es ist eine der Lehrerinnen der zweiten Klasse, die ihren Kopf durch die Klassentür steckt. Ich lege einen Finger auf die Lippen und werfe einen Blick über meine Schulter, um zu sehen, ob uns jemand gehört hat. »Ist es sicher?«, fragt sie. Sie ist jung und hochschwanger. Sie sieht erschöpft aus und lehnt sich gegen den Türrahmen, als wenn sie ohne ihn zusammenbrechen würde. Ich schüttele den Kopf, und sie beißt sich auf die Unterlippe, wie um nicht loszuweinen. »Hat er eine Waffe?« Ich nicke. Sie reißt die Augen panisch auf und schaut den Flur hinunter. »Weißt du, wo er ist?« Ich zeige stumm nach oben. »Geh von der Treppe weg und komm zu uns«, sagt die Lehrerin durch zusammengebissene Zähne. »Beeil dich, er könnte jederzeit auftauchen.«
    Ich schüttele erneut den Kopf und stemme mich hoch. Ich beeile mich nicht, weil ich keine Angst habe, dass sie hinter mir herkommt. Ich kann ihr und ihrem basketballgroßen Bauch leicht davonlaufen. »Komm zurück«, sagt sie lauter als beabsichtigt, denn sie schlägt sich sofort eine Hand vor den Mund und flüstert: »Bitte.« Ich schüttele noch ein letztes Mal den Kopf und drehe ihr dann den Rücken zu. Langsam und leise setze ich meinen Weg nach oben zu R J.s Klasse fort, ohne zu wissen, was ich tun werde, wenn ich erst einmal dort angekommen bin.
    Das letzte Mal, dass ich R J. habe retten müssen, war an dem Abend des Feuers gewesen. Ich war in meinem Zimmer und schrieb mir mit meiner Freundin Taylor SMS. Wir machten Pläne, später am Abend ins Kino zu gehen, als auf einmal der Geruch nach Knoblauch unter der Tür durchkroch und meinen Magen knurren ließ. Mom bereitete das Abendessen vor und briet Gemüse in Olivenöl an. P. J. saß am Küchentisch und arbeitete an seinem Projekt für den Physikunterricht. Er malte Styroporkugeln an, damit sie aussahen wie Planeten.
    »Hast du Hunger, Augie?«, fragte meine Mutter und ließ eine Handvoll geschnittener Zucchini in die Pfanne fallen.
    »Wie immer«, sagte P. J. frech.
    »Was hast du für ein Problem?«, fauchte ich zurück. Er ignorierte mich, aber ich ließ nicht locker. »Guck mal, wer da im Glashaus mit Steinen wirft. Wenigstens hängt mein Bauch nicht über den Hosenbund.«
    »Halt den Mund«, murmelte P. J.
    »Hey«, sagte meine Mutter. »Hört auf, alle beide. Augie, kannst du bitte einen Untersetzer aus der Schublade holen?«
    »Warum bittest du nicht Specki darum. Er könnte ein bisschen Bewegung vertragen.«
    »Ha, ha.« P. J. schoss mir einen wütenden Blick zu, während er aufstand und zum Kühlschrank ging. Er holte eine Packung Milch heraus und knallte sie direkt neben meiner Mutter auf die Arbeitsplatte. »Wenigstens habe ich nicht so eine Pickelfresse, bei deren Anblick alle kotzen müssen.«
    Über das, was ich dann tat, denke ich jeden einzelnen Tag nach. Es war nur ein Styroporball. Ich wusste, dass er ihm nicht wehtun würde, selbst wenn er ihn ins Gesicht bekäme. »Halt die Klappe, Loser«, rief ich und warf den Ball in seine Richtung. Ich habe nicht einmal hart geworfen.
    »Aha!« P. J. riss die Hände in Siegerpose hoch, als die Kugel ihn verpasste. Sie traf stattdessen die offene Flasche Olivenöl, die meine Mutter instinktiv versuchte aufzufangen, bevor sie zu Boden fiel. Ich sah, wie sich das dickflüssige, gelbe Öl aus dem Flaschenhals über die Hände meiner Mutter ergoss, auf ihre Bluse, sogar auf ihre Haare. P. J. lachte mich immer noch aus, während meine Mutter auf dem Öl ausglitt, das auf den Boden getropft war. Sie versuchte, sich abzufangen, indem sie sich an der Arbeitsplatte festhielt. Dabei stieß sie die Pfanne mit den Zucchini vom Herd und bekleckerte sich mit noch mehr Öl. Es passierte alles so

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