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Bis zur letzten Luge

Bis zur letzten Luge

Titel: Bis zur letzten Luge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richards Emilie
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Abgestorbene Palmblätter und ein zerfetztes Stück von einem Segel schwammen vorbei. Über den Donner und das Stöhnen des Windes hinweg hörte er das schwache Muhen der Rinder.
    Er machte kleine Schritte auf das Boot zu, das Lucien bis fast vor die Tür gezogen hatte. Seine Hand schloss sich um das Seil, das am Bug befestigt war. Er spürte, wie seine Mutter seine Schulter losließ. Als er sich umdrehte, sah er, wie Lucien ihr ins Boot half. Sie packte Angelle und legte ihren Mantel um sie beide. Sofort riss der Wind den Mantel wieder auf.
    Raphael umklammerte mit aller Kraft das Seil und wartete auf Lucien. Aus Richtung des Strandes hörte er ein Dröhnen und stellte sich Wellen vor, die hoch wie Bäume waren. Sie wären wild, diese Wellen, wild genug, um gegen sein Haus zu krachen und wieder Treibholz daraus zu machen. Was hatten die Menschen auf der Chénière getan, dass sie den Zorn der Wellen verdient hatten?
    Er spürte ein Ziehen am Seil und sah, wie Monsieur Lucien zu ihm gekommen war. Er wünschte sich, sie wären schon bei Julien LeBlancs Haus.
    Sie setzten sich in Bewegung. Zuerst stolperte Raphael immer wieder, doch nach einer Weile gewöhnte er sich an den treibenden Wind und den Sog des Wassers. Er hielt das Seil fest, bis seine Hand ganz verkrampft war. Als sie landeinwärts gingen, war das Wasser schon so tief, wie es vor ihrem Haus gewesen war. Einmal blickte er sich um, aber der Regen fiel so dicht wie ein Vorhang. Er konnte nicht einmal das Gesicht seiner Mutter erkennen.
    Auch andere Menschen waren im Sturm unterwegs. Männer mit Booten im Schlepptau, die größer waren als ihres, kamen an ihnen vorbei. Bei einem Haus reichten zwei Männer Müttern, die schon an Bord einen großen Loggers saßen, ihreKinder. Raphael versuchte sich vorzustellen, wie er den Sturm im Bauch des Fischerbootes aussaß. Er beneidete die Kinder.
    Jemand schrie, dass das Geschäft von Picciola ein guter Ort wäre, um den Sturm abzuwarten, doch Lucien änderte seinen Kurs nicht. Sie gingen weiter, an dem Logger, an den Häusern, an den Bäumen vorbei, die sich im Wind bogen. Ein neues Geräusch erklang auf der Halbinsel. Die Kirchenglocke läutete unregelmäßig, als würde sie langsam vom Sturm hin- und hergeschwenkt. „La cloche! La cloche!“, rief Raphael. Aber falls Monsieur Lucien ihn gehört hatte, antwortete er nicht.
    Raphael zitterte bei jedem Schritt und wünschte sich erneut, er könne im Boot fahren. Er hatte die Orientierung verloren, und als sie schließlich anhielten, war er überrascht, festzustellen, dass sie ihr Ziel erreicht hatten. Wasser schlug gegen die Pfeiler der Veranda, doch der Rest schien unversehrt zu sein. Dieses Haus würde den Wind überstehen und den Regen auslachen. Raphael sandte ein kurzes Dankgebet gen Himmel.
    Lucien zog das Boot zu den Stufen. Hier stand das Wasser nicht so hoch, und er wartete, bis Marcelite und Angelle hinausgeklettert waren, ehe er das Boot zur Verandabrüstung schleppte und dort festband.
    Marcelite half beiden Kindern auf die Veranda, aber das Dach bot nur wenig Schutz. Der Regen schien von allen Seiten auf sie niederzuprasseln. Angelle weinte. Raphael wollte ihr sagen, dass sie jetzt in Sicherheit waren, doch er wusste nicht, ob sie ihn über den Sturm hinweg hören konnte. Als Lucien zu ihnen kam, klopfte er an die Eingangstür. Niemand öffnete ihnen.
    „Wir müssen trotzdem reingehen!“, brüllte er.
    Marcelite umklammerte Angelle noch ein bisschen fester.
    „Sie sind nicht da. Ihr canote ist nicht dort, wo es sonst ist.“
    „Dann passen wir für sie auf ihr Haus auf und hoffen, dass sie irgendwo anders Unterschlupf vor dem Sturm gefunden haben.“Einen Moment später standen sie im Haus. Für Raphael war das Haus eine ebensolche Überraschung wie das plötzliche Ende von Regen und Wind. Die Wände waren innen genauso weiß wie außen. Die Decke war hoch, sogar weit über Luciens Kopf. Auf dem Boden lagen Teppiche aus Stoff, und auch die Stühle waren mit Stoff bezogen. Er wollte durch das Haus rennen und es erkunden, doch seine Mutter hielt ihn am Arm fest. „Ich suche uns etwas, damit wir uns abtrocknen können. Du kümmerst dich solange um Angelle.“
    Er legte das Bündel auf seinem Rücken ab und schlüpfte aus seinem Mantel. Angelle schlang die Ärmchen um ihn, und er tätschelte ihre nassen Locken und flüsterte ihr zu, dass sie jetzt in Sicherheit sei.
    Monsieur Lucien zündete eine Laterne an, die neben der Tür hing; als Raphaels Mutter

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