Bismarck 01
lebt in Baden-Baden.«
»Ich habe nicht das Vergnügen«, bekannte der ungebildete Deutsche.
»Wie schade, daß die Deutschen, sonst so gelehrte Leute, die Schätze der Weltliteratur nicht kennen! Ach, der russische Geist! Eine Tiefe, sag' ich Ihnen. Mais je vous n'en dis rien , Sie müssen russisch lernen, Herr Baron, unsere herrliche Sprache. Wir Russen von Bildung lernen ja alle Deutsch, warum sollten die Deutschen nicht für uns das gleiche tun? Das ist die wahre Verbrüderung der Nationen.« Bismarck schwor hoch und heilig, daß er sich im Russischen vervollkommnen werde, denn etwas Russisch verstehe er ja schon. Darüber verfiel die Dame in Verzückung. » C'est magnifique. Ich werde an all meine Kreise in Petersburg schreiben, welch ein erleuchteter Geist Sie sind.« Bei echtrussischen Leuten ist jeder erleuchtet, dem sie ein Talglicht anzünden. »Kennen Sie die Lieder des Herrn v. Lermontoff? Nicht? C'est dommage . Ein gewisser Bodenstedt in Wiesbaden, früher Hauslehrer in einer feinen russischen Familie, hat etwas übersetzt.« Sie zitierte mit Pathos:
Als mich die düstere Stunde gebar
Und nur der Gram mein Vater war.
»Leider so frühe weggerafft, im Duell gefallen, Gardeleutnant von sehr guter Familie im Kaukasus. Un peu Don Jouan, vous comprenez! Himmlisch teuflisch! Der wahre russische Lord Byron!« –
Als Otto davonging, lachte er auch ziemlich teuflisch. Der wahre russische Byron, das glaub' ich wohl. Karrikatur blasierter Affen. Mit Byron hab' ich gebrochen, doch es ekelt mich, wenn ich den großen Germanen mit allerlei slawischen und welschen Tröpfen in einen Topf geworfen sehe. In Paris hatten sie einen Monsieur de Musset, nicht ohne Talent nach den Proben, die ich las, in Italien einen buckligen Grafen, den unser hiesiger Frankfurter Schopenhauer als sauberste Weltschmerzblüte pries, dieser Leopardi besang die Wonne des Todes und riß vor jedem Luftzug aus, um nicht seine werte Gesundheit zugefährden. Alles Hysterie, wahrscheinlich unterdrückte Erotik. Und solche Schmachtlappen will man mit dem trotzigen Berserker und Wiking, dem normannischen Dichterlord vergleichen, der hundertmal dem Tode trotzte und als Held starb und das bitterste Lebensleid bezwang und wirklich den Manfred-Kain-Lucifer-Weltschmerz im Busen trug! Ich hab' am Original genug und brauche keine Kopien, lese überhaupt keine Poesie mehr. Die Literatur langweilt mich. Wozu das alles! Das ist so 'ne Art Gretchen-Episode und Scharmutzieren mit der schönen Helena. Zu den Müttern hinabsteigen wie Faust, ist eine schwierige Sache, wo sind sie, diese Mütter? Aber als Reichskanzler mit Kaisern verkehren ist wohl auch kein Amüsement, das sah Faust ein, und wo fand er endlich Selbstgenügen? Auf freiem Land mit freiem Volk zu stehen. »Frei«, was heißt das? Niemand ist frei. Ich dien'. Aber einen Deichdamm bauen für künftige Geschlechter, das versteh' ich alter Deichhauptmann. O wolle doch Gott, daß Goethe im Faust einen Deutschen vorausschaute, der auch etwas baut für alle Ewigkeit! Ich glaube nicht an die deutsche Hamletschwäche, Goethe hat im Faust nicht den Menschen schlechtweg gebaut, sondern den Deutschen, der sich mit Phantasmen und eigenen Torheiten herumschlägt, bis er die schaffende Arbeit findet. Immer hab' ich das echtdeutsch gefunden, wie Faust am Ende dasteht, er organisiert. Was ist denn Preußen anders als ein Werk der Organisation? Dahin liegt unsere Bahn, die deutsche Kraft organisieren.
Also den Russen gelte ich als zarisch-russisch, den Österreichern als gut kaiserlich allezeit, ich habe einen soliden Leumund. Mit den Franzosen hab' ich's natürlich verdorben als strammer Feind ihrer Revolutionsbeglückungspläne, mit denen sie sich so liebevoll unserer annehmen wollten, doch warte nur, balde ruhest du auch, o zeitgemäße Republik an der Seine, über allen Wipfeln ist nicht Ruh', ich spüre einen Hauch von Louis Bonaparte. Dann kann man vielleicht politische Geschäfte machen. Les affaires sont les affaires . Ich würde mich dem Teufel verschreiben, wenn er Preußens Geschäfte fördert. Und wer weiß, wen wir noch gegen Österreich brauchen können. Da ist zum Beispiel Sardinien, das nächstens einen Bevollmächtigten herschickt. Danach muß ich mich umsehen. Aber nur reinen Mund halten, nie seine Karten aufdecken. Ich bin hier als treuer Freund und Bundesgenosse von Österreich, natürlich.
Bei einer Schwester des früheren russischen Gesandten in Berlin, des bekannten Meyendorff, einer Frau
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