Bismarck 01
etwas für sich. Unstreitig ist er von ehrenfester Gesinnung.«
»Er ist eine Zierde unseres Adels,« rief der alte Kriegerdiplomat mit Wärme, »voll Hingebung für den Glanz der Krone und die Ehre des Vaterlandes.«
Der Prinz runzelte die Stirn. »Das hätten Sie nicht sagen sollen, lieber General. Auf den Glanz der Krone fiel ein trüber Schatten, und die Ehre wollen wir aus dem Spiel lassen – Sie wissen, wohin ich ziele. Ich werde erregt, wenn ich nur daran denke. Doch entschuldigen Sie,« fuhr er gütig fort, »Ihr Urteil hat bei mir viel Gewicht. Und mir ist, als ob eine innere Stimme mir sagte, ich hätte mich am Ende doch nicht in diesem Bismarck getäuscht, auf den ich von jeher ein Auge hatte. Er hat viele Feinde, muß ich bekennen. Doch viel Feind, viel Ehr'. Sie machenaber den Mann zu einem Phönix, als ob er noch zu gut für einen immerhin so hohen Posten wäre.«
»Jawohl, ich zögere nicht zu behaupten, daß er mir zu schade scheint, hier seine Energie zu vergeuden, in diesem Danaidenfaß, wo man immer ausschöpfen will und doch nie Grund findet. Der wäre an sehr hoher Stellung im Vaterland am Platze.«
»Warum nicht gar Premierminister!« Der Fürst sann wieder einen Augenblick nach. »Sie haben mich ganz für Ihre Meinung gewonnen, daß wir hier einen starken Mann brauchen, wie es dieser unstreitig ist. Ich werde unser Gespräch meiner Gemahlin mitteilen, die nicht so günstig denkt wie Sie.«
Rochow, viel zu vornehm, seinem Nachfolger auch nur die leiseste Andeutung seines Ritterdienstes zu machen, fühlte sich unangenehm berührt, als der Mann, für den er so brav einsprang, mit unverhohlener Kälte nachher sich von ihm zurückzog. Otto glaubte nicht anders, als daß Rochow den Prinzen gegen ihn eingenommen habe. Sein früherer Vorgesetzter ließ sofort packen und reiste in der nächsten Morgenfrühe ab, ohne sich zu verabschieden und seinem Ersatzmann die Akten feierlich zu übergeben. Denn das hinterlassene grüne Portefeuille mit den »laufenden Sachen« war leer. Aha, er eifersüchtelte bis zum Ende! Und diese Auffassung wurde Otto niemals los, er blieb dabei und flößte diese Ungerechtigkeit anderen ein, bis sie »geschichtlich« wurde. Einige Überlegung konnte ihm sagen, daß es sich nur um ein Versehen bei überhasteter Abreise handeln könne, denn der kluge Rochow würde doch wohl nicht eine so kindische Art oder Unart als parthischen Pfeil seines Mißvergnügens gewählt haben, da die betreffenden Akten ja natürlich sicher und unversehrt an anderer Stelle lagen. Nur daß er einem Wiedersehen und Abschied aus dem Wege gehen wollte, blieb als residuum mortum der ganzen Angelegenheit. Zu guter Letzt erwies sich Rochow schon früher bei jenem Zusammentreffen in Brandenburg freundlich und hatte zudem in freundschaftlichen Beziehungen zum alten Rittmeister, Ottos Vater, gestanden. Für die empfangene Belehrung der täglichen Vorträge schuldete ihm sein Nachfolger auch einige Freundlichkeit. Da schlug jedoch Otto das Gewissen, ob er nicht unfein einem alten Manne gegenüber handle, und er eilte persönlich zum Bahnhof, wo er noch knapp rechtzeitig den General beim Einsteigen abfing und ihm höflichen Dank für bewiesene wohlwollende Unterweisung abstattete. Er bediente sich der gewähltesten Ausdrücke und behauptete später immer, er habe Rochow in Verlegenheit gesetzt und ihm einen peinlichen Augenblick verschafft. Diese kleinliche Rachsucht kann nur dadurch entschuldigt werden, daß er die Wahrheit nie oder unvollständig erfuhr. Vielleicht spielte ihm auch seine Neigung zu sozusagen feuilletonistischer Ausschmückung einen Streich. Sein Wesen war so auf das bildlich Gestaltende gestellt, daß er eine Freude daran hatte, sich anekdotische Arabesken in seinen Lebenslauf hineinzumalen.
Rochow empfand wohl die Gewitterschwüle der unverhofften Begegnung, doch verbeugte er sich gemessen: »Ich danke Ihnen für diese Höflichkeit. Hoffentlich werden Sie einst mein Nachfolger auch dort, wohin ich jetzt reisen muß, dem Willen unseres Königs gehorsam.«
So sind deutsche Männer und preußische Militärs. Im Grunde konnte er wirklich Bismarck nicht leiden, aber ihn kümmerte nur der »Dienst«, was dem Staate fromme. Und weil seine erfahrene Klugheit die Begabung des Jüngeren erkannte, wurde er ihm ein nobler Sachfreund, so peinlich seine eigenen Wünsche durchkreuzt wurden. Denn, wie ein großer Deutscher es ausdrückte, deutsch sein heißt etwas der Sache wegen tun. Und hätte
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