Bismarck 01
konnte sich kaum enthalten, über solche Naivität laut aufzulachen.
»Geht auch nicht, bester Herr Baron. Ihr Diner ist sicher viel besser als das meine, aber es verträgt sich doch nicht mit meinem Anstandsbegriff, mich in meinem eigenen Haus von Ihnen bewirten zu lassen und außerdem noch meinen hohen Gast.«
»Nu, wie Se wollen. Se sind ein Mann von Eisen, Sie bringt man von nichts ab. Hab' ich getan nach Kräften, zu zeigen meine Pietät für das graußmächtige Preußen. Werd' ich mer kommen lassen 'n Schock Österreicher, die essen gern bei Rothschild.«
Die unverfrorene Zudringlichkeit mißfiel Otto um so mehr, als er so Mißlichkeiten in politischen Geldsachen voraussah, da Rothschilds ganz im österreichischen Fahrwasser nach Profit angelten. Graf Thun fing an, seine Präsidentschaft noch unangenehmer zu gestalten. Im persönlichen Verkehr benahm er sich verbindlich genug, doch in den Sitzungen überschätzte er seine Amtswürde, als wäre er souveräner Herr. Er präsidierte in kurzer Sommerjoppe, die er zugeknöpft trug in Ermangelung einer Weste, um sich's bei der Hitze bequem zu machen. Seine Nankinghosen durfte die Versammlung bewundern, indem er die Beine von sich streckte, um den Hals hatte er kaum den Vorwand einer Binde, weil dies bei der hohen Temperatur ihm lästig fiel. Sein Vortrag glich einem Gesprächston mit Untergebenen. Dazu rauchte er wie ein Schlot und bediente sich einer Zigarrenkiste, ohne je einen einzuladen, seinen Genuß zu teilen.
»Nächstens kommt er in Hemdsärmeln«, beschwerte sich Otto zu seinem befreundeten Kollegen Schele. »Ich werde mir diese Inkorrektheit nicht lange gefallen lassen. Das ist ja eine wahre Geduldsprobe.«
»Das Vorgehen Thuns ist auch geschäftlich unerhört«, stimmte der Hannoveraner bei. »Er studiert nie die ihm ausgehändigten Papiere vorher und macht sich mit dem Inhalt durch eigenes Vorlesen bekannt. Neulich las er 40 Seiten auf einen Hieb vor, lauter Ziffern und Noten über die Flottenfinanz. Seine Lunge ist beneidenswert, doch ich zog es vor zu schlafen, Herr von Nostitz las einen extra mitgebrachten Roman, weil er Thuns Sport schon kannte, und unser Bayer, General Xylander, zeichnete phantastische Kanonen aufs Löschpapier. Remonstrieren hilft nichts, da wird er grob und prätendiert in richtig österreichischer Manier, er begriffe nicht, was man von ihm wolle und wie er die Geschäfte anders führen könne.«
»Er ist geradezu flegelhaft.« Otto schwang erbittert seinen Spazierstock in der Luft mit einem kommentmäßigen Fechterhieb. »Auf meinen ersten Besuch im Mai schickte er nur seine Visitenkarte, und seither hat er nie den Fuß in unsere Gesandtschaft gesetzt, selbst meine offiziösen Besuche blieben unerwidert. Wenn ich in Geschäften zu ihm gehe, läßt er mich im Vorzimmer warten. Neulich hatte er die Frechheit, mir nach langem Warten zu versichern, er habe soeben eine sehr lehrreiche Unterhaltung mit einem englischen Zeitungskorrespondenten gehabt. Den alten Rochow hat er geradezu schnöde behandelt, den ließ er mal zwanzig Minuten im Vorzimmer sitzen.«
»O, er ist unverbesserlich. Nie erhebt er sich, wenn man bei ihm eintritt, bietet nie einen Stuhl an, während er rauchend sitzenbleibt wie ein Jupiter in Rauchwolken. Man soll wie ein Bittsteller vor ihm stehen. Das geht nicht so weiter.«
In der nächsten Sitzung begann Schele einige Redereien Thuns zu kritisieren. Da wurde der so heftig und ausfallend, daß Schele aufsprang: »Sie werden von mir hören«, und Otto als Zeugen für eine Duellforderung wählte. Dieser sann nach: »Diese Lösung wäre pikant, aber zu gewaltsam. Ich werde Thun zur Räson bringen als Vermittler. Es ist doch eigentlich amüsant, wir sollten dies seltene Exemplar eines Diplomaten so ruhig und liebevoll betrachten wie ein Botaniker eine unbekannte Blume. Ich schmeichle mir, zu seiner gesellschaftlichen Politur noch manches Scherflein beizutragen.«
Was er mit Thun redete, erfuhr niemand, tatsächlich leistete dieser eine mürrische Abbitte und benahm sich öffentlich bei jedem Zusammentreffen liebenswürdiger und vertraulicher gegen Otto als zuvor, hinter dem Rücken sprach er natürlich anders, das hörte Otto aus manchem heraus. Thuns Maßregeln sollten »den Deutschen die Theorie einprägen, daß wir keine Parität der Autorität zulassen und Preußen gar nichts zu sagen hat«, wie er offen heraus seinen Koteriegenossen predigte. Ebenso offen bekundete aber Bismarck an Schele und Oertzen:
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