Bismarck 01
besaß er ein Übermaß von fünfizgjährigen Gefühlen, besonders wenn er mehr Champagner trank als ihm gut war. Der zweite Attaché, Baron Brenner, zog die Augenbrauen hoch und sah den preußischen Gesandten von der Seite an, der mit ihnen die Theaterloge teilte. Doch der saß kalt und trocken da, wenig gerührt von Menschenhaß und Reue des seligen Herrn v. Kotzebue. »Man sage, wahs man will, er war doch ein großer Autor. Exzellenz interessieren sich wohl nicht für schöne Literatur?«
»Mehr für unschöne«, erwiderte der Preuße gelassen. »Geschichte und dergleichen. Eine Tragödie von Kotzebue ist eine ernste Sache, dieser Zug erinnert mich an meine früheste Jugend, ein Lustspiel ist noch ernster.«
»Exzellenz sind bei guter Laune.« Brenner lachte fein und äugelte durchs Opernglas nach einer Bürgerdame im Parkett, da ihn sein Geschmack mehr in den Mittelstand weiblicher Reize hinzog, worüber verschiedene reizvolle Mitteilungen kursierten. Das edle Mitleid eines großen schönen Vierzigers für einen gebrechlichen älteren Diplomatenkollegen bewog ihn, ernst zu erklären: »Baron Nellenburg ist selber Dichter und hat schwere häusliche Schicksale gehabt.«
»Das bedauere ich sehr«, beeilte sich Bismarck zu versichern. »Wirkliches Leid sticht so würdig ab von den Schminktöpfen der Theaterphrasen.«
Nellenburg trocknete seine Augen, putzte sein Opernglas undmachte gute Miene zum bösen Spiel, das auf der Bühne weiterging. »Mögen's mich für sentimental halten, Exzellenz, aber Gemüt ist mir alles. Mein verehrter Freund Baron Brenner tut mir zu viel Ehre an, wenn er mich Dichter tauft. Ich huldige nur in Mußestunden den Musen. Mein Ideal ist Baron Nimbsch v. Strehlenau, leider einem traurigen Los verfallen.«
»Im Irrenhaus«, versetzte Brenner triftig. »Sah's voraus nach seinen subversiven Tendenzen. Ich machte allerhöchsten Orts Anzeige, als ich sein ruchloses Machwerk, ›Die Albigenser‹, las. Welche gemaihnehn Ausfälle gegen die heilige Kirche! Ich war damals nur ein junger Attaché in Italien, aber mein christliches katholisches Gefühl empörte sich. Nach der heiligen Messe beichtete ich sofort, daß ich meine Seele mit solcher Lektüre befleckte, und empfing gütige Absolution von einem hochwürdigsten Herrn. Meine Anzeige wurde zwar als Tat eines pflichttreuen Beamten huldvoll vermerkt, kam aber gottlob schon zu spät. Der hohe Bundestag hatte das Opus schon verboten.«
»Mein verehrter Freund Baron Brenner ist ultramontan, wie man zu sagen pflegt«, erläuterte Nellenburg. »Es ist wahr, daß Baron Strehlenau – – guter ungarischer Adel – – viel gesündigt hat. Doch er hat gar so viel geliebt, und ihm ist vergeben wegen so göttlich trauriger Verse. Doch pardon, Exzellenz, ich weiß nicht, ob Sie – – ich meine natürlich den großen Lenau, wie ja sein nom de plume lautet. Haben Sie von ihm gelesen?«
»Nicht, daß ich wüßte!« verneinte Otto mit eiserner Stirn. »Weltschmerz, nicht wahr? Für solche Chosen ist bei uns im Norden kein Boden.«
»Schilflieder wachsen nicht in märkischem Sand«, murmelte Nellenburg halblaut. »Der deutsche Byron! Von diesem englischen Lord werden Exzellenz ja wohl vernommen haben, leider auch ein böser Revolutionär.«
»Undeutlich ... ja ganz recht, Byron ... von dem muß ich schon mal was gelesen haben. Recht unverdaulich!« Bismarck amüsierte sich köstlich. Die beiden Kavaliere österreichischer ästhetischer Hochkultur blinzelten sich verständnisinnig zu. Ungebildeter märkischer Junker! Was kann aus Preußen Gutes kommen!
»War dieser Byron nicht in die Karbonaribewegung verwickelt?« fragte er listig. Auf einen Streich verschwanden angenehme Rührseligkeit und gutmütige Betulichkeit. Brenner fuhr mit einem Ruck herum, während Nellenburg ein mißtrauisches Auge auf den preußischen Gesandten warf.
»Ahllerdings. Exzellenz scheinen serr ein gutes Gedächtnis zu haben, wenn auch nicht für Verse.« Obwohl aristokratisch reserviert in seinen Formen, verbreitete sich Brenner, bisher in Italien beschäftigt, nicht ohne hitzige Schärfe über die abscheulichen Bestrebungen des Risorgimento, über Mazzini und Garibaldi. Nellenburg, als annonymer Pamphletist in politicis geschätzt, sekundierte seinem Genossen mit Nibelungentreue. Bismarckhörte gespannt zu und sammelte einige wertvolle Aufschlüsse ein. Doch wie wenn sie sich reuig auf diplomatischer Taktlosigkeit erwischten, brachen beide Herren plötzlich ab und empfahlen
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