Bismarck 01
»Kalabreser« Filzhut revolutionäre Umtriebe verriet.
Der unglückliche Bismarck wußte sehr wohl, daß er an seinen lieben Kollegen keine Stütze hatte: nicht an BaronWerthern und Graf Münster in Petersburg (an Stelle Rochows), Bunsen in London, Usedom in Italien, Hatzfeld in Paris. Letzterer hielt den Neffen der Schlacht von Austerlitz für viel bedeutender als den Onkel, der neben diesem Genie ein Waisenknabe gewesen sei. Graf Alvensleben, Erxlebener Angedenkens, erschien in Frankfurt und erklärte, nie wieder unter diesem Monarchen dienen zu wollen, falls der König ihn etwa als Prätendenten gegen Manteuffel aufstellen wolle, wie er das schon mit Graf Pourtalès aus der Wochenblattspartei versucht habe.
»Was rührt denn die wieder ein? Das wird ein hübscher Brei sein mit allerlei Kolonialzucker aus England.«
»Sie sagen es. Die sogenannte öffentliche Meinung in England, der Prinzgemahl (unser Schulmeister am Hofe) und Lord Palmerston würden sich hochherzig für Deutschland opfern. Liberale Gesittung! Rußland muß ganz zerschnitten werden, erstens in Groß- und Kleinrussen, zweitens durch Herrschaft des Weißen Adlers der Republik Polen bis Smolensk, drittens durch Abladen der Ostseeprovinzen einschließlich Petersburg und Finnland an Preußen und Schweden. Derlei kindisches Zeug wird bei uns als hohe Weisheit angestaunt und das apokryphe Testament Peters des Großen zitiert, das Moskowitertum strebe als allgemeiner Feind der Menschheit nach der Weltherrschaft.«
»Das ist schon möglich«, urteilte Otto kühl. »Der Zarismus und der heilige Synod der orthodoxen Kirche litten immer an Größenwahn mit halbreligiösem Anstrich. Die räumliche Ausdehnung auf der Karte nährt solche Wahnvorstellung, etwa so, als ob die Sahara sich für unendlich erhaben über das kleine Ägypten hielte! Das wird Rußland ebensowenig gelingen, wie einst den Mongolen und später den Türken, die bis Liegnitz und Wien ihren werten Besuch ausdehnten und dann nie wiederkamen wegen zu ungastlicher Aufnahme. Aber ebensowenig können solche furiosen Schwätzer Rußland Gesetze diktieren, dazu gehören andere Zeiten und andere Machtverhältnisse. Diese Unverantwortlichen wollen uns leichten Herzens zugrunde richten, denn daß sich die Westmächte und Österreich nachher über unsern Kopf weg mit Rußland verständigen werden, ist ohnehin sicher.«
»Sie müssen mit dem Könige reden«, drang Alvensleben in ihn. »Sonst werden die Goltz und Albert Pourtalès den Thronfolger noch ganz umstricken.«
»Der König wird mich in Kürze nach Potsdam befehlen«, nickte Otto mit einer gewissen Traurigkeit. Die frühere Ungnade vergaß der hohe Herr schon lange, wie seine drängende Gedankenflucht Tag für Tag alles vergaß, nur nicht sein allmächtiges Gottesgnadentum. »Ob etwas Gutes dabei herauskommt, ist eine andere Frage.«
*
Als er der erwarteten Ladung folgte, nahm ihn zuvor der Thronfolger in Beschlag. Der hohe Herr schien erregt, wie selten bei seiner würdevollen Ruhe. »Sie haben keine Ahnung, wie hier gewühlt wird. Kürzlich war der König der Belgier an der Reihe, den natürlich die andern Koburger, d. h. die Engländer aufstacheln. Preußen müsse durch dick und dünn Hand in Hand gehen mit Österreich, selbst um den Preis einiger kleiner Opfer der Eigenliebe. Also so weit kam es, daß wir immer nur Opfer bringen sollen. König Leopold scheute sich nicht anzudeuten, wenn Preußen sich nicht füge, werde Frankreich den Rhein erobern und England, wenig treu seinen älteren Traditionen, dies sogar mit einiger Genugtuung begrüßen. Also schamlose Erpressung!« Die Stimme des Prinzen bebte. »Ich selbst bin antirussisch und westmächtlich gesinnt, ich sage es offen. Aber solche Sprache verwundet doch aufs tiefste mein vaterländisches Ehrgefühl.«
»Ich beglückwünsche Euere Kgl. Hoheit zu solchen Gefühlen«, erwiderte Otto warm. »Indessen dürften wir von dieser Seite wohl kaum mehr etwas hören. Seine Majestät ließen mich amtlich wissen, daß man mit dem Gedankengang einer so erprobten Monarchenweisheit konform gehe, doch ich demolierte diese Weisheit mit dem einfachen Satz: »Wäre Seine Majestät von Belgien statt dessen König von Preußen, so würde er das Gegenteil geraten haben«, und ferner mit dem Hinweis: »Frankreich am Rhein wäre auch Herr von Belgien, England und König Leopold sollten das bedenken!« Nun, man scheint es bedacht zu haben, denn Schweigen trat ein. Übrigens äußerte sich der belgische
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