Bismarck 01
vernünftiger als alles, was ich hörte. Ich dachte mir wohl, daß wir von Ihnen ein wohldurchdachtes, reifes Urteil hören würden. So war Ihre Reise nach Paris ein patriotischer Akt. Doch Pardon, man bläst zur Tafel, und Ihre Frau Gemahlin scheint sich hier fremd zu fühlen.« Und der hohe Herr ging eilends zu Johanna, die ganz allein saß, reichte ihr den Arm und führte sie zu Tische. Zum höchsten Verdruß seiner Schwägerin, doch es gab jemand, der das nie vergaß. Ja, jeder Zoll ein König!
*
In Frankfurt reifte wieder ein Skandal. Sebastopol war gefallen, nicht durch Verdienst der Briten, die sich am Redan grauenvoll blamierten, sondern durch den Elan der Division Mac Mahon am Malakof. Natürlich feierten aber die Briten diesen englischen Sieg, und die Kolonie der Kurgäste in Homburg hörte im Oktober einen Speech von Sir Malet, der eine hochnäsige Rüge gegen Preußens laue Haltung enthielt. Die Berliner Presse dürstete nach Rache und heischte Abberufung dieses Gesandten, der auf deutschem Boden den bekannten schulmeisterlichenTon anschlug, der England so gut zu Gesichte steht. Otto bat jedoch, amtlich keine Notiz davon zu nehmen, da ein Wechsel der Gesandtenperson nur ungünstiger werden könne, der König willigte ein. Immerhin bewies der Fall wieder, mit welcher souveränen Nichtachtung das Ausland sich Mitreden im eigenen Hause Deutschlands gestattete.
»Ich bedaure den Zwischenfall sehr, lieber Freund«, versicherte Malet. »Ich habe die Deutschen gern, und besonders Sie. Aber wo Briten beisammen sind, stecken sie einander an, bis jeder die gleiche Meinung hat. Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen. Meinen Landsleuten, frisch von England her aus der Gesellschaft, konnte ich nicht umhin beizupflichten, und es war schicklich, daß ich ihren Gefühlen Ausdruck gab. Sie hätten sonst erklärt, daß ich nicht schicklich meines Amtes waltete.«
Jawohl! Wie die Franzosen, das Freiheitsvolk, jedem Leithammel folgen, so die Briten der konventionellen Schablone. Der Policeman bleibt draußen, mein Haus ist meine Burg, doch drinnen müssen Mobiliar, Mahlzeiten und Gesinnungen genau denen meines Nachbars gleichen. Wehe dem Briten, der eine eigene Meinung hat oder irgendwie gegen etwas konventionell Schickliches verstößt! Der wird sofort gesellschaftsunfähig, verliert Kaste. Und diese zwei innerlich uniformiertesten Völker des Erdballs entrüsten sich über die preußische Uniform als Zeichen der Knechtschaft! Nur der Deutsche hat selbständig unabhängige Persönlichkeit, der Konvention so wenig untertan als der blinden Anbetung von Machthabern. Höchstes Glück der Erdenkinder ist doch die Persönlichkeit! konnte nur ein Deutscher singen. Daß wir dadurch zentrifugal werden, ist unsere Schwäche, aber ohne sie wäre auch die Stärke der Idealität nicht da. Wie stark die ist, wird die Welt erst inne werden, wenn einmal wirklich die bedrohte deutsche Persönlichkeit sich zusammennimmt zum Kampf auf Leben und Tod. –
Das neue Jahr brachte Frieden auf Erden, doch kein Wohlgefallen für Preußen. Mit unglaublicher Kopflosigkeit ließ sich auch jetzt Manteuffel durch Österreich an Händen und Füßen binden, damit es mit Zustimmung des Bundestags und voller Vollmacht die Pariser Konferenz allein betrete und Preußen dabei ganz ausschalte. Zwei annehmbare, von Preußen gestellte Vorschläge wies Buol ab, brachte eine eigene Vorlage ein und gab dabei noch eine Vorschrift, wie Preußen seine Abdankung unterzeichnen, d. h. sich wie jeder deutsche Kleinstaat durch das großmächtige Österreich in Paris vertreten lassen solle. Jeden Bundesbeschluß konnte letzteres dann nach Belieben auslegen, wenn Preußen nicht dabei war.
»Es gibt nur eine Möglichkeit, dem vorzubeugen«, äußerte Otto in Sanssouci zu Gerlach. »Preußen muß einfach erklären, es werde erst seine Absicht bekunden, wenn die Zeit gekommen sei, und schließe sich etwaigen Beschlüssen nicht an. Dann werdenv. d. Pforten und Beust sofort kopfscheu werden, da sie unsere Bestimmung voraussetzten, und die anderen Höfe würden diesmal zu uns stehen. Gerade dann wird man uns aus Paris dringend bitten, an den Verhandlungen teilzunehmen, da wir also doch mündig und nicht unter österreichische Kuratel gestellt sind! Dann könnte man noch Kompensationen holen.« –
Bei der Hoftafel erhob der König seine Stimme: »Sie, werter Bismarck, kennen ja Napoleon III. intim, wie man hört. Was denken Sie de sa Majesté ?« Auf die unverkennbare Ironie
Weitere Kostenlose Bücher