Bismarck 01
erwiderte Otto gemessen: »Obschon ich mir nicht anmaßen kann, den Kaiser der Franzosen anders als sehr von fern zu kennen, glaube ich so viel urteilen zu dürfen, daß er ein sehr gescheiter Herr ist, auch anscheinend wohlwollend und liebenswert. Aber sein Prestige, als wäre er ein Genie des Bösen, und er lasse im Stillen Ozean regnen und im Atlantischen donnern, überschätzt seine Fähigkeit. Seine Machinationen als allgemeiner Menschenfeind sind wirklich harmlos oder richtiger ein Hirngespinst.«
»Ihre Indifferenz überrascht mich, ich hörte anders. Hat er Ihnen denn nicht imponiert?«
»Majestät, ich habe ein sehr unglückliches Auge, das viel eher die Schwächen als die Vorzüge sieht. Bangemachen gilt nich, sagen wir Berliner, wir lassen uns nicht imponieren.«
»Nicht?« Das empfand der König wie einen persönlichen Stich, tröstete sich aber gleich wieder mit der Selbstverständlichkeit, daß dieser Nörgler mit seinem allergnädigsten Herrn und Lehrmeister in den politischen Wissenschaften eine Ausnahme mache.
»Der Kaiser hat kein sanguinisches, noch weniger ein cholerisches, sondern ein phlegmatisch-melancholisches Temperament.« Das Krokodil hat's nämlich auch, nur heischt sein kaltes Blut recht viel Fraß. »Er steigt ungern zu Pferd, sitzt gern bei Tafel, liebt überhaupt sitzende Lebensweise und behagliche Ruhe, den Genüssen dieser Welt nicht abgeneigt. Von Napoleon I. ist keine Faser in ihm. Man preist seinen Verstand und verkennt sein Gemüt. Denn nach Aussage aller, die ihn kennen, hat er zum Beispiel die seltene Tugend der Dankbarkeit in ausgezeichnetem Grade.«
Der König lachte überlaut, was natürlich die ganze Tafelrunde in treugehorsamste Heiterkeit versetzte. Der Ausgelachte lächelte kühl: »Eure Majestät erinnern sich wohl des Generals v. Canitz, der auf der Kriegsakademie das große Wort gelassen sprach: ›Napoleon war ein seelensguter Kerl, aber dumm, dumm.‹ Ich darf wohl vermuten, daß Eure Majestät über mich etwa ebenso denken.«
Der König lachte verdrießlich, doch da ihm eine geistreiche Replik immer wohlgefiel, brach er höflich ab: »Sie mögen rechthaben, doch den jetzigen Napoleon kenne ich nicht, will Ihnen also nicht bestreiten, daß sein Kopf schlechter ist als sein Herz.«
Gerlach flüsterte ihm später zu: »Ihre Majestät die Königin sind ganz besonders indigniert, weil Sie dem Satanskerl Gemüt zusprechen. Machen Sie doch keine Faxen!«
Otto zuckt« die Achseln, »'s ist so meine Meinung.« Und er behielt sie auch später. Vielleicht war es gut so, weil es ihm ein Überlegenheitsgefühl und zugleich eine von keiner persönlichen Abneigung getrübte Ruhe diesem Menschen gegenüber verschaffte, vor dem ganz Europa zitterte. Aber das Urteil war falsch nach jeder Richtung, obschon es von oberflächlichen Historikern nachgelallt wurde. Napoleon der Kleine war kein kleiner Mensch, wenn man Begabung dafür zum Maßstab nimmt. Allen Herrschern (Friedrich den Großen natürlich ausgenommen) an Geisteskultur unendlich überlegen, überhaupt voll ungewöhnlicher, umfassender Bildung, besaß er zwar kein Atom schöpferischer Ader, mehr Staatsgelehrter als Künstler, und verhielt sich zu Napoleon dem Großen, wie ein experimentierender Forscher oder Texte prüfender Philologe zum freien Dichterdenkergenie. Zog er als Neffe der Schlacht von Austerlitz zu Felde, so machte er eine traurige Figur, doch die Nerven des schwer an Stein kranken Mannes gaben im Granatschauer nicht nach, niemand hat ihn je feige gesehen, wie er denn schon bei den lächerlichen Abenteuerputschen seiner Anfängerschaft einen kalten Mut bewies, der nichts weniger als lächerlich war. Sein grübelnder Verstand, unfruchtbar für zeugende Gedanken, blieb durchdringend klar und in manchem bedeutend, sein Wille nicht stark genug für große Taten, doch für große Verbrechen. Könnte man bei der unerhörten Gemeinheit und Grausamkeit seines blutrünstigen Staatsstreichs, bei der skrupellosen, meineidigen Hinterlist seines Komplotts noch an der unheilbaren Niedertracht seines Wesens zweifeln, so zerstreute die nachfolgende gesetzliche Abwürgung aller anständigen Leute mit den Massenverschickungen nach Cayenne den letzten Zweifel. Eine so schamlose Tyrannei, ein solches Spitzel- und Delatorentum bis in die Familie hinein, eine so schmutzige, systematische Korrumpierung der öffentlichen und privaten Sitten wie unter diesem Apachenhäuptling hat die Welt noch nie gesehen. Er hat Frankreich
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