Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bismarck 01

Bismarck 01

Titel: Bismarck 01 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Bleibtreu
Vom Netzwerk:
sich die illegitime Dynastie Orleans durch großherzig demokratischen Verzicht auf seine Manieren ein. Unter den Bourbonen konnte man wirklich für vornehmes Benehmen am PariserHof in die Schule gehen. Louis Napoleon, der Lehren seines »Onkels« eingedenk, befleißigte sich zwar, in der eingerissenen Roheit Wandel zu schaffen, aber Madame Sans Gêne ließ sich nicht so leicht vertreiben. Selbst bei den jüngeren Herren des altlegitimistischen Adels, der sich vorerst dem zweiten Empire fernhielt, herrschte ein rüder Ton des Jockeiklubs, der sich wenig mit den bewundernswerten, auf Selbstbeherrschung, Herzensgüte, Rücksichtnahme auf den Nebenmenschen und echtem Ehrgefühl gebauten Formen des fränkischen (germanischen) Geburtsadels vertrug.
    Was Otto am meisten auffiel, war der Mangel an Organisation bei dieser Abfütterung. Man teilte die Menagerie in drei Klassen (o, so echt demokratisch!), von denen überhaupt nur die erste vermöge einer Karte sich die Stillung ihrer Magenbedürfnisse sicherte. Marschierte diese aber befriedigt ab, so stieß sie auf die zweite Gruppe, die schon im Menü eine ärmliche Bewirtung erhalten sollte (o, wie so echt demokratisch!) und deren Aufmarsch dem Sturmmarsch der Sambre-et-Meuse entsprach. Diese Revolutionsarmee, obschon sie an bebänderten und gestickten Fracks und reich dekolletierten Damen einen Überfluß hatte, vertrat sofort die Magenfrage durch schmackhafte Injurien: »Muffle!« »Vous êtes un misérable!« »Lache!« Auf diese zwei kommentmäßigen Kraftworte folgten tatkräftige Handgreiflichkeiten. Otto war jedoch überzeugt, daß die sonst hieraus unvermeidlichen Folgen des Ehrenkomments ausblieben, da niemand Karten austauschte. Auf den dritten kommentmäßigen Tusch »Vous en avez menti« fiel niemand mehr herein, denn Gott sei Dank ist Lügen keine Schande. Das war vordem paradox, sagt Hamlet, doch nun bestätigt es die Zeit.
    »Eure Exzellenz sind dem Tisch der Gräfin Walewska zugewiesen«, überreichte ihm der Hofbeamte seine Karte mit tiefer Verbeugung. Zu diesem Ressort gehörte jeder auswärtige Diplomat. Doch mit der seltsamen Beliebtheit, deren sich ein offenkundig unfemininer Mann bei besseren Frauen erfreute (seltsam? gerade deshalb!), drangen ihm zwei Patronessen noch zwei andere Karten auf. Indem er sich zur Tafel der Walewska wandte, hörte er den heftigsten Streit. Ein alter Herr in preußischer Gardeuniform und eine hohe französische Dame sollten nicht passieren, weil sie infolge offenbarer Nachlässigkeit keine Karten hatten. Otto erkannte den berühmten Veteranen dreier Zeitalter, Fürst Pückler-Muskau, der sich auch sofort auf Ottos ihm oberflächlich bekanntes Gesicht berief. »Dies ist die Duchesse de Montebello, mich kennen Sie, diese Unordnung ist unerhört.«
    Mit der ihm eigenen kühlen Ruhe versicherte Otto: »Der Herr Fürst hier hat mir seine Karte anvertraute, und gab ihm eine seiner drei. Die Karten waren nämlich nach den verschiedenen Vorstandsdamen der langen Tische bezeichnet. »C'est bien, monsieur, mais madame –« »Auch ein Versehen.« Und er gab ihr die zweite Karte. Der Haushofmeister ließ das Paar passieren,bedeutete aber dem unerbetenen Deus ex Machina : »Sie aber werden auch nicht ohne Karte passieren«, als ihm Otto die dritte Karte vors Gesicht hielt. »Pardon, Mon Prince!« So was war ihm noch nicht vorgekommen. –
    »Ich bin Ihnen zu ewigem Dank verpflichtet«, beteuerte der greise Pückler. Solche Hyperbeln sind in der Hofsprache die kleine Scheidemünze. »Übrigens war das Essen miserabel. So was machen wir in Berlin weit besser. Finden Sie nicht auch?«
    »Gewiß, und doch besteht die alberne Legende, man esse nur in Paris gut. Nun ja, Brillat-Savarin war ein Franzose. Hier handelt sich's eben um den Mangel an Organisation, in allem bemerkbar.«
    »Wie wahr! Was machte denn meinen Park in Muskau? Die Organisation!« Der berühmte Gartenkünstler sah diesen fremdartigen Diplomaten von der Seite an. »Eure Exzellenz interessieren mich ungemein, wenn Sie diese etwas indiskrete Bemerkung nicht ungütig aufnehmen wollen. Das war vorhin ein Coup d'état mit den drei Karten, davon hätte der selige Duc de Richelieu (der Enkel natürlich, nicht der Alte) drei Jahre geredet. Ich vermute, Sie haben es schon vergessen.« Vergleich mit dem alten Richelieu wäre freilich schmeichelhafter als mit dem jüngeren Salonlöwen. Doch man muß auch mit solchen Komplimenten fürlieb nehmen. Dies war also der berühmte Reisende

Weitere Kostenlose Bücher