Bismarck 01
du das wüßtest, wär' ich dir dankbar. Das Leben hat wenig Zweck, die meisten Menschen vegetieren nur wie Pflanzen oder Unkraut. Laß mich wenigstens die allgemeine Dürre mit Trinkbarem begießen! Denn sauf' ich nicht, so bin ich dumm und gallig dazu.«
»Selbst deine Riesennatur wirst du untergraben, einen Knacks fürs Leben bekommen.«
»Davor keine Bange! Der Kadaver hier hält's schon aus.«
»Doch deine Seele? Wachet und betet, auf daß ihr nicht in Anfechtung fallet. Ich gebe die Hoffnung nicht auf und schließe dich täglich in mein Gebet.«
Das wird viel nützen! dachte der Skeptiker. Doch Spinoza nützt mir auch nichts. – So braun seine Wange, so bleich war sein Herz, von des Gedankens Blässe angekränkelt.
Um den Winter seines Mißvergnügens durch etwas Sonne zu erhellen, machte er schon früher wiederholt kleine Spritztouren in die so nahen pommerschen Seebäder. Er watete durch den weißen Dünensand von Swinemünde, ließ sich am Strand von Kolberg in der Sommerhitze braten und sprang an Rügens weißen Klippen in die Salzflut. Ein furchtloser Schwimmer, lernte er auch das Tauchen und griff einmal einen Hering in den Tiefen der Ostsee mit eigenen Händen auf. »Armer Kerl!« lachte er. »Nirgends ist man sicher vor dem Menschen, dem ärgsten Raubtier. Eins frißt das andere in dieser seltsamen Schöpfung, doch nur den Menschen blieb der Trieb, sich sogar untereinander zu zerfleischen. Keine Tierrasse kennt dies Vertilgen unter sich, keine Bestie ist grausam wie der Mensch, man beleidigt die armen Tiger, wenn man einen Menschentiger eine Bestie nennt. Was sind die Eroberer anders als Menschenfresser! Was für ein zähes Gewissen muß solch ein Bursche haben, wenn er Kriege anzettelt zum Verderben von vielen Tausenden!«
»Sie scheinen ein Philosoph, mein Herr«, erwiderte ein alter Kapitän, an den er diese Bemerkungen richtete und der den blondbärtigen Athleten neugierig musterte. »Doch ich meine, die großen Herren gehen ihrem Mordhandwerk, das sie Ruhm nennen, geradeso gleichgültig und behaglich nach, wie jeder beliebige Bürger.Hai und Schwertfisch halten sich für ebenso anständig wie der friedfertige Wal. So wird's wohl beim Löwen sein im Vergleich zum Elefanten.«
»Und doch ist der friedliche, weise Elefant stärker als jedes Raubtier. Das ist doch das schönste: seine Stärke nicht mißbrauchen und nur zum Schutz der Schwachen zu dienen, wie der Elefant bei Tigerjagden.«
»Das sagen Sie so! Kalkuliere aber, ist ein seltener Fall. Der Starke, der Maß hält im Erfolg, soll noch geboren werden ... unter uns Menschen. Napoleon war gewiß ein smart fellow doch ging zugrunde, schätz' ich, weil er nie ordentlich Anker warf und immer alle Segel beisetzte, dem Wind in die Zähne.« –
Im Herbst 1844 fuhr er nach Norderney, um sich die Poren mit Seeozon auszulüften. An der Table d'hôte fand er nur wenige Gäste, doch von verschiedenen Nationalitäten. Da war ein russischer Offizier, dessen ungeschlachte Figur an einen Stiefelknecht erinnerte. Da war eine rachitische, dänische Dame, die ihn mit Trauer und Heimweh erfüllte. Da war ein alter preußischer Ministerialbeamter, der wie ein Alpdruck wirkte, ein fetter Frosch ohne Beine, der seinen Mund weit aufriß wie eine Reisetasche für jeden Bissen, nach dem er schnappte. Man muß sich an der Tafel festhalten, sonst schwindelt einem! klagte der satirische Otto mit grotesker Übertreibung. Von diesen Bekanntschaften erholte er sich beim Meer, mit dem er innige Freundschaft schloß, wie mit dem Fischer Tomke Hans. Gar manchen Abend fuhr er bei Sonnenuntergang weit in die See hinaus, bis die goldene Scheibe tief über dem Wasser lag und zu einem Glühpünktchen einschrumpfte und dann erlosch. In seiner melancholisch-philosophischen Hamletstimmung wälzte er dabei Totengräbergedanken: So geht's mit dem Tagesruhm, ein Lichtstümpfchen, und dann ist Nacht. Aus, kleine Kerze! Wozu die Mühe des Leuchtens! Das ist doch nur ein Selbstverbrennen.
Im Fischerboot so zu Hause wie im Sattel seines Pferdes, bestand er mit seinem getreuen Tomke einen plötzlichen Orkan, der sie bei Wangeroog auf hoher See überraschte. Vierundzwanzig Stunden lang trieben sie dahin, durchnäßt bis auf die Haut, keinen trockenen Fleck am Leibe, aber mit Schinken und Portwein ausgerüstet. Zwanzig Segelschiffe strandeten derweil bei Borkum und den anderen friesischen Inseln, doch die beiden kühnen Bootsleute, sich wechselseitig am Steuer ablösend, kehrten
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