Bismarck 01
wohlbehalten heim. Geredet hatten sie dabei so gut wie nichts, hätten sich auch nicht verstehen können beim Donner der See und Heulen des Sturmes. Als die Wogen um ihn her zischten und über Bord spritzten, fiel ihm Uhlands Vers ein: »Der Kaiser Karl am Steuer saß, der hat kein Wort gesprochen, er lenkt das Schiff mit festem Maß, bis sich der Sturm gebrochen.« So sollte einer sich halten, der ein Staatsschiff zu lenken hat unterm Brüllen feindlicher Elemente.
Jeden Tag segelte er stundenlang hinaus, um zu fischen oder Seehunde zu schießen. Nur eine der vorsichtigen Robben kam ihm vor den Schuß, und als er auf das sanfte Hundegesicht mit der borstigen Schnauze und den schönen braunen Augen blickte, tat ihm sein Töten von Herzen leid. Ach, dachte er, ich gehöre nicht zu den Männern von Blut und Eisen, die kein menschliches Rühren kennen. Am Ende ist's gut, daß ich nicht Soldat wurde, Krieg führen könnt' ich nicht, habe zu viel Mitleid mit der Kreatur. Ist das nun weichlich-weiblich in mir? Dünke mich doch sonst männlich genug. Er gedachte, wie Lord Byron, mit dessen Poesie er sich in Mondscheinnächten seiner pommerschen Wildnis durchtränkte, einen Adler im Ambracischen Golf hoch aus der Luft herabholte und sich dann vor dem brechenden Auge des sterbenden Vogelkönigs zuschwor, nie wieder seine nie fehlende Kugel auf Lebewesen zu entsenden. Nein, so weit würde er nicht gehen, solche sentimental-poetischen Anwandlungen mochten für einen Byron und den doch sonst nicht so weichmütigen Jagdverächter und Menschenjäger passen, den man Friedrich den Großen nannte. Aus so zartem Metall war er, der unbedeutende Privatmann Otto Bismarck, denn doch nicht gegossen, als robuster Landjunker würde er auch ferner auf den Anstand gehen und das Wild beschleichen. Aber man muß nicht hinsehen, wenn das Reh stirbt. –
Die Wellen, die ihn am flachen Strande herumkugelten, machten ihm viel Spaß, leider auch Hin- und Herwogen des Glücksspiels im Bade-Roulette.
»Am 4. August 1844« in Hannover geschah die denkwürdige Tat, daß er endlich wieder an seinen Getreuen Scharlach schrieb, er wolle ihn auf Rückkehr von Norderney wiedersehen. Doch aus Besuch in Hildesheim wurde wieder nichts. Der Spielpächter Hartog nahm Ottos Finanzen in so umfassende Obhut, daß er eiligst einpacken und zu den heimischen Penaten flüchten mußte. Vormals erreichte er Norderney, mit einem Rudel Damen zusammengepfercht im Postwagen, als lustiger Schwerenöter. Jetzt fuhr er düster über Hamburg heim, den wohlfeilsten Weg. So freigebig unterstützte er besagten Hartog mit blanken Talern preußisch Kurant, daß er mit Müh und Not und 25 Groschen in der Tasche Vaters Hof erreichte.
»Erlkönig hat mir ein Leids getan«, summte er mit Galgenhumor. »Dem Vater grauset's, ich reite geschwind.« Doch freute ihn baß, daß seine kavaliermäßige Erscheinung den Zollbehörden an der Grenze unverdächtig schien und sie ihn ohne Paß passieren ließen, dessen Lösen seine Vagabundenkasse nicht gestattet hätte. Die Paßscherereien zwischen deutschen Einzelstaaten führten ihm immer wieder Deutschlands Zustand ins Gedächtnis zurück. Er vergaß es ganz in seiner pommerschen Wildnis. Unkundig wie ein schriftgelehrtes Stadtkind, übernahm er vor fünf Jahren die verschuldeten Güter, die mehr fraßen als einbrachten, undjetzt rettete er schon den besten Teil des Erbvermögens. »Das war der Zweck der Übung,« gestand er dem Schwager Arnim, »aber nun Schluß. Geistig bin ich so eingerostet, daß meine unempfängliche Verdrießlichkeit sich nicht viel zum Ärger aufschwingt, wenn meine Untergebenen mich betrügen. Das ist der Dank, weil ich das Leben, das sie mir vergällen, ihnen behaglich mache. Nur nach Tisch bei der Flasche bin ich milden Gefühlen zugänglich, sonst grenzt meine Gelangweiltheit an grauesten Lebensüberdruß.«
»Hast du keinen anregenden Umgang?«
»Doch, Hunde und Pferde. Bei den Junkern steh' ich in Verruf wegen Hexerei, ihr Signalement heißt: ›wegen alten Adels schreibensunkundig‹. Außerdem kleide ich mich wie ein Mensch. Doch anerkennt man meine guten Seiten, denn ich zerwirke ein Stück Wild wie ein berufsmäßiger Metzger, galoppiere wie ein Jockei, schmauche die schwersten Zigarren und trinke alle unter den Tisch mit freundlicher Kaltblütigkeit. Die schönen Tage von Aranjuez, wo ich als braver Mann einen Rausch gehabt, sind nun vorüber, ich Unseliger kann nie mehr betrunken werden. Wozu auch! Früher
Weitere Kostenlose Bücher