Bismarck 01
bald Arbeiter und Karren sich zum Fluß bewegen, die mit Faschinen und Brettern den Damm stopfen. Die schäumende Flut nimmt sich zwar sehr poetisch aus, doch die Prosa hat ein besseres Recht. So mag eine Revolution wohl schwankende Gemüter betören und die Phantasie gefangenhalten, aber die Ordnung muß ihren Deich dawiderstemmen, sonst werden alle Fluren verwüstet. Gottlob, ich habe nichts mit solchen figürlichen Dingen zu tun und bestelle buchstäblich mein Tagewerk als Dammwärter.
Am 1. Februar abends brachte man ihm in der traulichen Dämmerstunde die Lampe herein und das Spirituslämpchen, ein Geschenk Johannas, worauf er sein lauwarm Wasser für den Tee siedete. Dabei sann er so stillvergnügt vor sich hin, daß er knapp rechtzeitig das Überkochen hinderte. Da kam auch der Postbote mit einem Brief aus Reinfeld, und hoch schlug dem Liebenden das Herz, als er die teuren Zeilen las voll angstvollen Mitleids, sein Schlaf würde ihm in unruhigen Nächten geraubt werden, wenn die Elbe stieg. Damit hatte es noch gute Weile. Jetztkonnte er noch schriftlich mit der Geliebten in aller Muße plaudern wie daheim; er schrieb an sie: »Mein Schatz, mein Herz, mein Augentrost. Dein treuer Bismarck.« Bald wird die Elbe ihre Tücken ausgespielt haben, dann konnte er wieder heimwärts ziehen in die Heimat seines Herzens. Es klopfte. »Herein!« Schüchtern kam der Konrektor der Volksschule und klagte über unvollständiges Zahlen der Schulgelder. Otto tröstete ihn, er werde danach sehen. Dann fragte der Mann: »Ist Euer Hochgeboren Fräulein Braut groß?« »Ziemlich«. »Ein Bekannter von mir hat Sie im Harz mit mehreren Damen gesehen. Da haben Sie sich vorzugsweise mit der größten unterhalten, das war gewiß Ihr Fräulein Braut.« Die größte war aber Frau v. Mittelstädt. Mit einem Seufzer fügte Otto seinem Briefe ein sehr langes Postskriptum bei, nämlich als Beilage, »in der ich oft meinen innersten Ausdruck fand, now never any more «, Byrons Gedicht an Inez. Daran schloß er die fast ebenso lange Gewitterbeschreibung in Childe Harold, das erste 36 kurze, das zweite 20 lange Verse! Er knüpfte daran byronische Betrachtungen, die seiner Braut weder verständlich noch bekömmlich sein konnten. Die frömmelnde Ausdrucksweise fiel schon ganz von ihm ab. » e t'embrasse mille fois «, wieder ein unnützes Französisch.
Seine Braut würde sich wohl ein wenig entsetzt haben, wenn sie ihn gesehen hätte, wie er über Byrons Genfer Gewitterstimmung nachsann. Gewitter bei Nacht, wie berauschend! Da müßte mein Gaul mit mir durchbrennen und ich so die Klippe hinab in den brausenden Rheinfall stürzen. Das wäre Leben! Leider nur einmal im Leben könnte man das Pläsir haben, alles auf eine Karte zu setzen und in den sicheren Tod zu reiten. Ade, Byron! Ich bescheidener königlich preußischer Landmann bescheide mich mit meinem einfachen Lose und überlasse die Genie-Gewitter jenen anderen, die unglücklich sind durch ihre Größe, weil die Gewöhnlichkeit ihnen nichts bietet.
Am andern Mittag befand er sich zu Tisch bei Frau v. Brauchitzsch, Gattin des Oberpräsidenten, die ihn einlud, um ihn über die Familie Puttkamer auszufragen. Er ließ sich aber nicht die Würmer aus der Nase ziehen, sondern berichtete nur, was ihm beliebte. So viel Diplomatie besaß er denn doch noch! Bei wildem Schneegestöber grober Flocken und heulendem Eiswind von der Elbe her empfing er den nächsten Brief der Braut. Sie sei traurig, trage Schwarz als Kleid, und im Herzen zu träge, Musik zu machen. Abends schreibe sie nicht, weil er wolle, daß sie ihr Augenlicht schone, nachts träumte sie von ihm. Flugs schrieb er zurück, daß er leider nicht träumen könne wegen schauderhaft prosaischen Schlafes vollkommener Gesundheit. » Et dis-moi donc, pourquoi es tu paresseuse? Pourquoi ne fais-tu pas de musique? « Das mußte er natürlich französisch sagen, wobei er oft bei der Verneinung das »pas« zu viel anwendete, wie man es heut im Pariser Jargon nicht mehr tut. »A propos de paresse.«»Le diner est rvi.« »Qu'est-ce qu'il me chante?« »Why not?« »Think only« so ging es fort, unwillkürlich verfiel er fortwährend in Fremdsprachen und schloß den Brief an »Dearest black one, je t'aime, c'est tout dire« mit einem englischen Gedicht und dem Zusatz »Ich glaube von Moore, perhaps Byron«, woran sich Macbeths Monolog »To-morrow and to-morrow« ohne Angabe des Autors schloß, sonderbare Lektüre für ein junges Mädchen. Leben ist
Weitere Kostenlose Bücher