Bismarck 04
Kaiseridee Hoffnung auf Wiedergeburt, wenn sie ein für allemal den Feudalismus über Bord wirft und einer Sozialmonarchie mit völkischer Grundlage zustrebt. Brachen die Hohenzollern als Revenants der Hohenstaufen ein für allemal das Rückgrat? Man kann dies um so weniger glauben als alles Antimonarchische sich einzig gegen die Person ihres letzten Kronenträgers richtet. Auch wir verdammen sein Wirken, selbst sein angeblicher Kulturschutz war nur Ausfluß dynastischer Eitelkeit und Karikatur eines Grand Monarque, wie ihn schon der Assyrerkönig Asurbanipal vorstellte. Unter der Potsdamer Kultur-Wachtparade hießen Meister Wenzel und der Bataillonsmaler v. Werner beide Exzellenz. Doch wälzt man nicht auf Wilhelm II. allein ab, was einfach neudeutschem Wesen entsprach? Es war Helmholtz' schönster Tag, als man ihn in den Adelsstand »erhob.« [Fassade-Ornamentik des Briefadels besteht fort, obschon ein Großteil des Blutadels seit dem 30jährigen Krieg ins Bürgertum untertauchten.] Virchow achtete peinlich darauf, daß man ihn »Geheimrat« anredete, Haeckel spottete in »Indischen Reisebriefen« über professionale Schulmeisterei, Titel und Orden, doch er selber nahm sie behaglich auf bisher unbefleckte Brust und erkannte sich ironisch selbst als Schulmeister. So wenig Wilhelm den Weltkrieg verschuldete, so schuf das Wilhelminische und selbst Bismarcks Paktieren mit dem Ewig-Gestrigen, das Jeden erniedrigt, eine Atmosphäre dafür. Er muß sich gefallen lassen, daß Eulenburg sein Haus »Amusisch« nennt, weil der allmächtige Reichskanzler äußerlich jeden Anhauch seiner musischen Jugend abstreifte. Alles rächt sich im Kreis immanenter Gerechtigkeit, so auch Moltkes altväterischer Klassizismus, der im 2. Akt der »Meistersinger« die Oper verließ: »Nun wollen wir zu Hause gute Musik machen«, und harter Realismus. Siehe den Betrug beim Versailler Waffenstillstand in Sachen Bourbaki, für dessen Rettung Gambetta unterschrieb und für seine Einwilligung nur den Fußtritt erhielt, den man Frankreich mit nutzloser und schädlicher Grausamkeit ins Grab nachschleuderte. Erinnerte sich Foch vielleicht daran, als er uns unerträglichen Waffenstillstand diktierte zu historischer Vergeltung?
Was hat aber Entartung militärischer Gewaltpolitik mit den Hohenzollern gemein, von denen kein Einziger den latino-slawisch-angelsächsischen Eroberertrieb rückhaltlos ausprägte außer im Zwange der Notwendigkeit? Im Weltkrieg erschien ein Schandbuch »Liebesintrigen der Kaisersöhne«, dessen Verfasser, Northcliffe-Bediente Le Queux, schon früher Begabung für Brunnenvergiftung im Romänchen über ein vergiftetes Borgiamanuskript verriet. Dies Borgiagift in englischer Worcester-Sauce wird unter der Marke »echt« kredenzt, indem Le Queux sich als englischer Spion in Düsseldorf und Berlin ausgibt und sich nicht scheut, deutsche Grafen und Gräfinnen als seine Informanten zu nennen. Seine Lakaien der Hintertreppe banden ihn aber Bären in Germaniens Urwäldern auf, die Echtheit sieht so aus, daß ein Baron Güter in Sibiria statt Silesia hat und Prinz Eitel die Garde in Frankfurt am Main inspiziert und was der Scherze mehr sind. Wir mögen in die Kloake nicht hinuntersteigen, wo Prinzen als Einbrecher, Fälscher und Erpresser herumschwimmen und gewisse erotische Einzelheiten für den Kundigen zwerchfellerschütternd die blöde Unkenntnis des Giftmischers bekunden. So werden die Kaisersöhne für eine Horde geistiger Rothäute festgebunden, die an dem fingierten Marterpfahl einen Skalptanz aufführen. So aber wird die ganze Hohenzollerngeschichte von westlichen Ignoranten zugerichtet und die Deutschlands dazu. Man hat nichts gelernt und nichts vergessen, oder vielmehr alles vergessen, was zur Erkenntnis führt. Die Unsittlichkeit deutscher Höfe ahmte höchstens die westlichen Greuel nach, und wenn Lord Malmesbury das Berlin vor 1806 »Sodom« nannte, wie stand es dann mit dem Gomorrha London? Feigenblätter wünscht England noch mehr als der deutsche Staatsanwalt, doch ein kräftiger Roman »Hüter des Hauses« enthält die treffende Sentenz übers heutige Highlife: »Solange unsere jungen Herren mit Straßendirnen und unsere Mißes sich mit ihren Kutschern gemein machen, sollten wir uns freuen, daß erstere noch nicht in ihre Bedienten und letztere nicht in ihre Zofen verliebt sind.« Heute kann man in ganz Europa zwar nicht bloß Splitter in des Nächsten Augen sehen, sondern hanebüchene Balken, aber diese findet man
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