Biss der Wölfin: Roman
es war längst zu spät. In dem Moment, in dem ich mich diesem Ort auch nur bis auf drei Meter genähert hatte, hatte ich eine Fährte hinterlassen, die mit Sicherheit ihre Aufmerksamkeit erregen würde. Aber wenn ich es mir recht überlegte, musste das nicht unbedingt ein Problem darstellen. Angesichts der Größe von Alaska wäre der Versuch, zwei oder drei Werwölfe aufzuspüren, eine Nadel-im-Heuhaufen-Arbeit gewesen. Jetzt würden sie nach uns suchen, was die Sache einfacher machte.
Nachdem wir unseren Geruch bereits hinterlassen hatten, konnten wir uns genauso gut gleich noch etwas umsehen. Wir suchten jeden Zentimeter dieser Lichtung nach Überresten des Mannes am Seeufer ab und fanden kein Tröpfchen Blut und kein Fetzchen Fleisch. Das bedeutete zwar nicht allzu viel – der lange Weg durch den Schnee dürfte ausgereicht haben, um ihre Pfoten zu säubern –, aber es war nichtsdestoweniger etwas, das man sich merken sollte. Es konnte auch nahelegen, dass sie sich absichtlich gesäubert hatten, bevor sie hierher zurückgekehrt waren. Vielleicht war ja auch einer der Mutts ein Menschenfresser, der versuchte, die Angewohnheit vor seinen Gefährten geheim zu halten.
Sobald wir uns sicher sein konnten, dass wir alles an Information gefunden hatten, was es zu finden gab, und uns die Gerüche eingeprägt hatten, verließen wir die Lichtung. Als ich ins Freie trat, fing ich eine Bewegung in den Büschen auf. Ich erstarrte und versperrte Clay den Weg. Er stieß mich am Hinterteil an. Ich schob mich rückwärts, während ich zugleich den Wald absuchte. Das einzige Geräusch war das Rascheln des Windes in den toten Blättern über uns. Es war zu ruhig. Auch Clay wurde still in dem Wissen, dass etwas nicht stimmte.
Ich sah mich weiter um, die Ohren nach vorn gestellt, mit zuckender Nase. Nichts zu sehen. Nichts zu hören. Nichts zu wittern. Doch der Wald blieb tödlich ruhig. Clay stieß mich wieder an – jetzt machte er sich Sorgen und wollte von hier verschwinden.
Ich verließ die Lichtung. Clay folgte mir. Wir standen im dichten, matt erleuchteten Wald, forschten, lauschten, witterten und fingen absolut nichts auf. Dann rief ein Vogel. Ein anderer antwortete. Ein Eichhörnchen keckerte und rannte einen Ast über unseren Köpfen entlang; tote Blätter regneten herab. Ich schüttelte eins von meinem Kopf herunter und rieb mich an Clay, um mich für die Überreaktion zu entschuldigen. Er leckte mir über die Nase und wartete auf Anweisungen – jetzt, nachdem jede Gefahr vorbei war, war er durchaus bereit, mir die Führung zu überlassen.
Wir fanden die Fährte der Werwölfe in ihrer menschlichen Gestalt und folgten ihr. Sie endete schon nach etwa zwanzig Metern an einer Fahrspur, die nach Öl und Benzin stank. Motorschlitten.
Ich machte kehrt und trabte eine Viertelmeile zurück in die Richtung der Leiche, aber die Männer waren nach wie vor dort. Es gab für uns keinen Grund mehr, in der Nähe zu bleiben. Wenn die Überreste schließlich weggebracht worden waren, würden die schwachen Fährten der Mörder unter zahllosen anderen Spuren verschwunden sein. Also suchten wir unser Kleidungsdepot wieder auf und wandelten uns zurück.
So enttäuscht wir über das unbefriedigende Ende unseres Ausflugs auch sein mochten, keiner von uns schlug vor, ins Heck unseres Geländewagens zu kriechen und ihn dort zu einem würdigen Abschluss zu bringen. Die improvisierte Version hatten wir uns schon im Flughafengebäude verschafft. Jetzt wollten wir mehr, und wenn wir es nicht auf die richtige Art bekommen konnten, würden wir eben warten und währenddessen den entsprechenden Appetit entwickeln.
Apropos Appetit, die Frühstückszeit war längst vorbei. Wir fuhren zurück zum Highway 1, der Hauptstrecke durch Alaska bzw. der fünf Prozent von Alaska, die mit dem Auto überhaupt zu erreichen sind. Er stellte sich bei Tageslicht als eine zweispurige Landstraße heraus und wies nur sehr wenig Ähnlichkeit mit den Interstate-Autobahnen auf, an die ich gewöhnt war – sowie nur wenige der Bequemlichkeiten, an die ich ebenfalls gewöhnt war. Immerhin waren wir zuvor an einer Art Raststätte vorbeigekommen. Wir kehrten zu ihr zurück und fanden eine Tankstelle, eine Bäckerei und ein Pizzalokal vor.
Ich war überrascht über das Neonschild im Fenster der Bäckerei, das Espresso in allen Variationen versprach – nicht gerade das, was man an einer abgelegenen amerikanischen Überlandstraße zu finden erwartete. Aber beschweren
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