Bist du mein Kind? (German Edition)
zerknautscht aus und er blickt unter zusammengezogenen dichten schwarzen Augenbrauen in die Runde.
Ich finde ihn abgrundtief unsympathisch. Und dieser Mann soll uns helfen? Er blickt genervt und sagt etwas zu Jean, das ich nicht verstehe. Jean nickt und bittet ihn, sich zu setzen.
Als er sich erfolgreich auf den Stuhl gequetscht hat, sitzt er mir gegenüber. Eine ganze Weile mustert er mich. Ich kann in meiner Verzweiflung seinem Blick nicht standhalten, weil ich glaube, er kann in meinem Blick lesen, was ich über ihn denke. Er spricht mich an:
„Madame, mein Name ist Philippe Leroc, ich bin Inspektor bei der Polizei in Béhaton und ich möchte wissen, ob Sie mich verstehen.“
Ich nicke mit dem Kopf und sehe ihn an. Jetzt blicken seine Augen verständnisvoll oder nicht? In Büchern können Menschen immer am Blick erkennen, in welcher Stimmung der andere ist. Ich kann das nicht.
„Ich möchte, dass Sie mir ganz genau erklären, was passiert ist“, sagt er leise.
Erstaunlich, die Stimme ist sehr sanft für diesen Koloss. Ich muss wieder schreien, fange aber lieber an zu weinen. Die Tränen laufen über mein Gesicht, ich kann nicht reden. Wo ist mein Sohn? Was leidet er? Der Gedanke, welche Angst jetzt in ihm stecken muss, lässt mich verzweifeln. Jean spricht mit Inspektor Leroc.
Dieser wendet sich an Wolfgang:
„Schildern Sie mir bitte, was da draußen geschehen ist. Nur grob, um die Einzelheiten kümmern wir uns später.“
Wolfgang blickt zu Jean. Jean zögert und übersetzt dann, was Inspektor Leroc gesagt hat. Nun höre ich zum ersten Mal, wie mein Sohn entführt wurde. Mir ist elend, ich will es natürlich wissen, aber andererseits bin ich unsicher, ob ich diese Schilderung, die nun kommt, aushalten kann.
Wolfgang fängt zögernd an:
„ Ich bin mit meinen Söhnen auf dem Hof unterwegs gewesen, als wir die Melodie des Eiswagens hörten. Meine Jungs sind gleich losgerannt und wollten ein Eis. Ich bin hinterher. Als wir vor dem Hoftor ankamen, stand dort schon der knallpinke Wagen, den wir gestern in Béhaton gesehen hatten. Und bei dem wir auch Eis gekauft haben. Meine Frau hat sich noch mit dem Eisverkäufer unterhalten. Aber hier war heute ein anderer Mann in dem Wagen. Und er stand nicht drinnen, sondern am Ende draußen. Hinten war so eine kleine Tür, durch die man in den Verkaufsbereich steigen kann. Diese Tür stand offen und davor stand der Eisverkäufer. Maxi war schneller bei ihm. Er rief schon „Ich will das gleiche Eis wie gestern“. Während ich mit Leon zu ihm ging, kletterte der Mann in den Wagen. Maxi blieb an der geöffneten Tür stehen. Der Mann hat dann irgendwas zu ihm gesagt und die Hand nach draußen gestreckt. Maxi hat die Hand ergriffen und ist in den Wagen gestiegen. Er hat noch in meine Richtung gesehen und ich habe genickt. Ich habe mir doch nichts dabei gedacht. „Ich will auch gucken“ hörte ich noch von Leon und dann ging er auch zur Tür. Er war noch nicht ganz angekommen, als der Eisverkäufer plötzlich heftig die Tür schloss und dann habe ich nur noch gesehen, wie er Maxi festgehalten hat. Das Auto fuhr mit heulendem Motor und quietschenden Reifen weg. Ich bin noch hinterhergelaufen, habe geschrien und bin gerannt, aber ich habe ihn nicht mehr eingeholt. Dass meine Frau inzwischen auch da war habe ich nicht gemerkt. Ich bin schuld, dass mein Sohn entführt wurde.“ Er weint.
Marie bringt ein Paket Papiertaschentücher. Inspektor Leroc schweigt.
Ich kann nicht fassen, was ich da gerade gehört habe. Er hat zugelassen, dass Maxi in einem fremden Land zu einem wildfremden Menschen in ein Auto steigt? Das kann ich nicht glauben. In mir kriecht Verzweiflung hoch. Und Vorwürfe, die ich ihm entgegen schreien will.
Aber es geht nicht. Mein Kopf tut weh. Ich sehe Leon an. Er sieht einfach nur fertig aus. „Komm zu mir Schatz“, fordere ich ihn auf.
Er krabbelt über die Bank zu mir, schlingt seine Arme um meinen Hals und flüstert mir ins Ohr: „Mama, ich habe Hunger, ist das schlimm?“
Ich drücke ihn an mich. Am liebsten will ich ihn gar nicht mehr loslassen. Ich frage Inspektor Leroc, ob ich mit meinen Kindern in die Scheune gehen kann, sie bräuchten etwas zu essen. „Aber selbstverständlich Madame, ich bin ja noch eine Weile hier. Im Moment muss ich mich nur mit Ihrem Mann unterhalten. Gehen Sie nur.“
Ich nehme Leon an die Hand, Timo auf den Arm und wir gehen zur Scheune hinüber. Ein Gefühl, als würde mir ein Körperteil fehlen, überkommt
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