Bist du mein Kind? (German Edition)
gesprochen. Und es hat auch noch nie so lange gedauert, bis ich die Worte zusammen hatte, die ich benutzen wollte. Ich muss mich anstrengen und die Worte wirklich vorher mühsam zusammen suchen, bevor ich sie verwenden kann.
Und außerdem, habe ich Deutsch gesprochen und ich glaube, die Krankenschwester auch.
Egal, ich will essen.
Sie ist schon wieder durch die Tür verschwunden, lässt sie aber offen stehen. Ich kann einen langen Gang erkennen und sehe Bilder von Blumensträußen an den Wänden. Und ich höre diese typischen Krankenhausgeräusche. Wagen, die über den Gang geschoben werden. Klingeln von Patienten, die im Schwesterzimmer als Brummen ankommen. Schnelle Schritte in Holzclogs.
Nun gut. Krankenhaus. Ich döse vor mich hin und warte auf mein Frühstück. Denken geht nicht wirklich. Nur Frühstück kann ich denken. In meinem Kopf ist weiche warme Watte. Sehr angenehm.
Ich höre klapperndes Geschirr und Rollen, die über Linoleum gleiten. Mein Frühstück. Juhu. Endlich. Wurde aber auch Zeit. Ich setze mich hin und schiebe das Kissen in meinen Rücken, damit ich gerade sitze. Was habe ich überhaupt an? Einen dunkelblauen Schlafanzug. Ich habe keinen dunkelblauen Schlafanzug. Aber dieser gefällt mir. Schönes Teil. Und gemütlich fühlt er sich an. Wann kommt endlich mein Frühstück?
Meine gute Fee weht herein und trägt ein großes Tablett vor sich.
„Dann wollen wir mal schön alles aufessen, damit wir bei Kräften bleiben!“ ruft sie. Ich will nicht, dass sie auch etwas isst. Ich will mein Frühstück alleine essen. Damit mein Bärenhunger aufhört. Sie stellt das Tablett auf den Krankenhaustisch und lächelt mich an: „Na, dann raus aus dem Bett. Hier steht ein schöner Stuhl, da nehmen wir Platz und dann gibt es Frühstück“.
‚Ich will alleine essen, du blöde Kuh. Verstehst du das denn nicht‘?
Also schäle ich mich aus dem Bett. Mir wird leicht schwindlig, aber nach einem kurzen Moment geht es wieder. Ich schlurfe zum Tisch und setze mich in den Sessel. Frühstück, na endlich.
‚Hoffentlich nimmt die jetzt nichts davon. Ich ziehe das Tablett mal direkt rüber‘. Wunderbar, denken geht auch besser. Was so ein paar Schritte ausmachen.
Sie lächelt mich nochmal an und geht aus dem Zimmer. Die Tür bleibt wieder offen.
Ich mache mich über mein Frühstück her und vertilge zwei Brötchen mit Wurst und Käse und Marmelade. Ein Ei und den Joghurt spüle ich mit Orangensaft runter und den Kaffee trinke ich komplett, obwohl er nicht schmeckt.
Mit dickem Bauch und hochzufrieden bleibe ich sitzen und sehe aus dem Fenster. Ich sehe ein paar hohe Bäume. Einige Häuser und Straßen kann ich durch die Blätter erkennen, aber kein Hinweis darauf, wo ich bin. Egal, hier ist es schön und hier werde ich versorgt. Finde ich total gut.
Ich gehe ins Bad und dusche. Hier stehen eine Zahnbürste und Zahncreme im Zahnputzbecher. Ich entferne die Verpackung der Zahnbürste und schrubbe los. Dabei betrachte ich mich im Spiegel. Und je länger ich mich ansehe, umso klarer kommen die Gedanken zurück.
Mit Wucht.
Sie rollen auf mich zu wie ein ICE mit 300 Stundenkilometern.
Und sie haben mich.
Ich knalle mit der Erkenntnis zusammen, warum ich hier bin. Und ich fühle mich, wie nach einem Zusammenstoß mit dem ICE.
Erschlagen. Fertig, in tausend Teile zerfetzt.
Die Zahnbürste landet im Waschbecken. Oberflächlich spüle ich mir den Mund aus und mache mich auf die Suche nach dem Schwesternzimmer.
Als ich es finde, bin ich erstaunt: Alles auf Französisch. Wieso hat die Schwester deutsch mit mir gesprochen? Ah, da sitzt sie ja.
„Sagen Sie mir bitte, wo ich bin und seit wann ich hier bin?“
Sie nimmt meine Hand und zieht mich zurück in mein Zimmer. Dort setzen wir uns beide aufs Bett.
„Also, Sie sind in Charleroi im Krankenhaus. Sie haben fast zwei Tage durchgeschlafen, weil wir Sie mit Medikamenten vollgepumpt haben. Jedesmal wenn sie aufgewacht sind, hat eine Pumpe automatisch nachgespritzt, sodass Sie weiter schlafen konnten. Damit Ihr Körper sich erholt. Aber ich glaube, nun sind Sie hellwach, oder? Wie fühlen sie sich? Im Moment haben Sie noch einen Rest des Medikaments in Ihren Venen. Wenn Sie aufwachen und einigermaßen klar sind, sollen wir den zuständigen Arzt holen, damit er mit Ihnen spricht.
Ich geh‘ dann mal und hole ihn“.
Diesmal spricht sie nicht von „wir“. Also geht es wohl wirklich um mich.
Eiskalt packt mich das Wissen um die Entführung meines
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