Bitte keine Rosen mehr
angezogen oder doch nur insoweit, als er sich deren äußeren Schein zunutze machen kann. Er ist ein Schreibtischkrimineller insofern, als er ein gebildeter Krimineller ist, allerdings; aber seine Verbrechen sind nicht Produkte von Treuebrüchen – wie der Griff in die Ladenkasse oder die Bücherfälschung –, sondern von Vertrauensbrüchen. Und das Vertrauen, das er bricht, ist das Vertrauen in die Grundmuster etablierter Ordnung. Er ist, kurz gesagt, ein Anarchist.
Ein Anarchist von welcher Sorte? Nun, eines steht fest. Er wird nicht töricht sein. Er wird weder die Philosophie des unaussprechlichen Herbert Marcuse verinnerlicht noch sich mit den Faseleien dieser armseligen Sozio-Philosophen, dieser Paladine des Lollipop-Set Raoul Vaneigem und Guy Debord abgequält haben. Er wird nicht an die Spektakuläre Gesellschaft glauben und auch nicht an Situationistische Intervention. Er wird nicht in Einkaufstüten Bomben schleppen. Aber sein taktisches Denken wird mit dem einiger der disziplinierteren Stadtguerillagruppen – derer, die darauf spezialisiert sind, bürokratische Herrschaftsmechanismen durcheinanderzubringen und aus dem resultierenden Chaos Profit zu ziehen – vieles gemeinsam haben. Ob dieser Profit ideologischer oder rein finanzieller Art ist, braucht uns hier nicht weiter zu kümmern. Zunächst gilt es, die Schwierigkeiten, denen wir uns gegenüber sehen, zu erkennen. Im Dschungel der internationalen Bürokratie, einschließlich dessen der multinationalen Konzerne, gibt es stets reichlich viel dichtes Unterholz, in welchem kompetente Männer sich verbergen und aus dem heraus sie angreifen können. Die Aufgabe derer, die versuchen, sie aufzuspüren, wird in keinem Falle leicht sein.«
Wir hatten in der Bürosuite ein Zimmer, das regelmäßig auf Wanzen überprüft wurde. Ich setzte mich dort hinein, um mit Mat zu sprechen.
Unsere Unterhaltung dauerte weniger als eine Minute. Sie bestand größtenteils aus Codewörtern, die auf eine Tätigkeit in der Düngemittelbranche hinwiesen. Sie übermittelten jedoch einen Alarmruf höchster Dringlichkeitsstufe (›Deckung aufgeflogen!‹) von mir, verbunden mit einer Bitte um Weisungen. Von Mat kam die Order, umgehend mit der Firmenmaschine nach London zu fliegen und mich darauf einzurichten, noch in derselben Nacht nach Brüssel zurückzukehren. Die Reise hatte unauffällig vonstatten zu gehen. Wenn irgend möglich, sollte nicht bemerkt werden, daß ich das Hotel überhaupt verlassen hatte.
Den Piloten aufzutreiben dauerte eine gewisse Zeit, weil er mit irgendeinem Mädchen im Bett lag; aber er hatte sich an seine Anweisungen gehalten, die besagten, daß er sich stets für einen Notfall bereitzuhalten habe, und einmal aufgescheucht, reagierte er prompt. Für die Gehälter, die wir zahlten, erwarteten wir gute Leistungen. Als ich den Flughafen erreichte, hatte er bereits Landeerlaubnis für Southend eingeholt und einen Flugplan eingereicht. Die Zollkontrolle war kein Problem. Das einzige Gepäck, das ich bei mir hatte, war mein Brüsseler Hotelzimmerschlüssel mit seinem schweren Nummernschild aus Messing. Um dreiundzwanzig Uhr dreißig war ich in London.
Mat stieg für gewöhnlich im Claridge ab; aber diesmal hatte er es vorgezogen, sich in einem ziemlich schäbigen Hotel in Kensington zu verkriechen.
Ich hatte ihn deswegen aufgezogen, als wir uns einige Wochen zuvor sahen. Was, so hatte ich gefragt, hatte er damit unter Beweis stellen wollen? Daß er ein schlichter eingeborener Inselbewohner sei, ein Opfer der Monopolkapitalisten, die seine Vorfahren ihrer angestammten Rechte beraubt hatten? Und wen hoffte er mit diesem Unsinn zu beeindrucken? Die Leute vom britischen Außenministerium und vom Commonwealth Office, mit denen er zu tun hatte und die ausnahmslos alle wußten, daß er die London School of Economics absolviert und die Stanford Law School besucht hatte? Oder die Anglo-Anzac Phosphat, die in ihm vor allem den Sachverständigen für die Auslegung von Trustgesetzen im Hinblick auf pazifische Steuerparadiese sah, der von einer kanadischen Bank beauftragt worden war, dafür zu sorgen, daß dieser räudige alte Häuptling sich aus allem heraushielt und pünktlich seine Gelder bekam?
Sein Lächeln war ausgeblieben. Über gewisse Dinge wurde nicht mehr gescherzt.
»Paul, es gibt nur eine Person, die ich im Augenblick beeindrucken muß, Häuptling Tebuke. Sie sollten wissen, weswegen, ohne daß ich es Ihnen erst im einzelnen vorzubuchstabieren
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