Bitter Lemon - Thriller
Hallen vernommen werden. Haben sie in den vergangenen Tagen und Wochen etwas Ungewöhnliches beobachtet? Menschen oder Autos, die nicht dorthin gehören. Und dann schaff mir auf der Stelle den Kollegen Heuser her. Ja, jetzt … oder … nein, später. Gleich nach der Pressekonferenz. Der kann sich warm anziehen. Von wegen Informant. Dass ich nicht lache. Wo hat unser Kaffeeholer vom Dienst denn noch Informanten? Wenn er den Mund nicht aufmacht, dann kriegt er von mir noch kurz vor seiner Pensionierung ein Disziplinarverfahren an den Hals. Das wär’s. Fürs Erste.«
Sklaven.
Der Leiter der Mordkommission lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.
Sklaven. In Deutschland.
Machen Sie endlich die Augen auf, Herr Kollege.
Sklavenmarkt in Köln-Dellbrück.
Angebot und Nachfrage.
Die Nachfrage bestimmt den Marktwert.
Die Käufer bezahlten die Ware nach gründlicher Prüfung und vermieteten sie anschließend in anonymen Hochhaus-Apartments oder schäbigen Hinterhäusern an Endverbraucher. Die Endverbraucher aber waren keine albanischen Gangster, sondern brave Kölner Familienväter, verdiente Vereinsmitglieder, nette Kollegen, die brav ihre Steuern bezahlten.
Ohne Nachfrage kein Markt.
Er sah auf die Uhr.
Noch 42 Minuten bis zum Auftritt des Polizeipräsidenten. Der hatte eine Pressekonferenz anberaumt. Wir ermitteln in alle Richtungen. Der Lieblingssatz des Präsidenten. Was sollte ein Verwaltungsjurist auch schon zu kriminalistischer Arbeit sagen? Besser gar nichts. Die Medien würden sich ihre eigene Wahrheit zurechtbasteln. Mit Hilfe von Fragezeichen. Mafia-Krieg in Köln? Am zweiten Tag würden sie den Lieblingssatz aller Polizeireporter drucken: Noch immer tappen die Ermittler im Dunkeln.
Noch 41 Minuten.
Vielleicht sollte er mitten in der Pressekonferenz dem Präsidenten ins Wort fallen, mit einer Handbewegung dessen selbstgefälligen, nichtssagenden Monolog stoppen und der Meute die richtige Schlagzeile liefern: Sklavenmarkt in Köln.
Eine schöne Idee.
Allein die Vorstellung erzeugte schon ein aufregendes Kribbeln im Bauch. Eine schöne Idee für Helden.
Sieben Tote.
Wer hatte ein Interesse daran, sieben Gangster zu töten? Wer hatte außerdem die Fähigkeit, dies zu tun? Und wer hatte die Möglichkeit dazu?
Motiv, Mittel und Gelegenheit.
Der ewige Dreiklang des Mordes.
Die beiden unaufgeklärten Morde an Heinz Waldorf und an Eliska Sedlacek und die Jagd nach dem tatverdächtigen Zoran Jerkov würden nun unweigerlich eine Zeit lang in den Hintergrund der Ermittlungen rücken müssen. Außerdem war die Beweislast gegen Jerkov dünner als dünn, und sie hatten nicht das Personal, um sich zu dreiteilen. Aber die Medien würden ihnen das bald aufs Brot schmieren: Insgesamt neun unaufgeklärte Morde in Köln. Was tut eigentlich die Polizei? Im Dunkeln tappen.
Noch 40 Minuten.
In spätestens zehn Minuten würde der Präsident anrufen und fragen: Sagen Sie mal, in der Sache Dellbrück, wie ist da der aktuelle Stand? Tappen wir da noch immer im Dunkeln?
Der Friedhof Melaten an der Aachener Straße wurde 1804 außerhalb der mittelalterlichen Stadtmauern angelegt, nachdem die neuen französischen Hausherren aus hygienischen Gründen die traditionellen Bestattungen gleich neben den Pfarrkirchen und damit auch gleich neben Wohnhäusern und Grundwasserbrunnen untersagt hatten.
Melaten hieß ursprünglich Maladen . Mit dem frankophonen Wort bezeichneten die sprachbegabten und anpassungsfähigen Kölner das Siechenhaus für Leprakranke vor den Toren der Stadt. Das stand genau dort, wo im 17. Jahrhundert 30 kerngesunde Kölner Frauen und Mädchen mit dem Segen der katholischen Kirche als Hexen hingerichtet worden waren, und wo im Jahr 1804 der neue Friedhof entstand, auf dem fortan die Kölner Katholiken beerdigt wurden – Juden und Protestanten durften schon vor Napoleon nicht innerhalb der Stadt bestattet werden, wenn auch aus anderen Gründen. Und weil die Franzosen seit ihrer Revolution einiges für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit übrig hatten, durften sich die Juden, deren Ahnen die älteste jüdische Gemeinde nördlich der Alpen im Jahr 321 nach Christi Geburt in Köln gegründet hatten, erstmals seit Jahrhunderten wieder frei in ihrer Heimatstadt bewegen. Außerdem wurde der katholischen Kirche in einem Aufwasch das Beerdigungsmonopol entzogen und stattdessen der neuen Zivilregierung übertragen.
Die Stadt wuchs und wuchs, die Stadtmauern wurden
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