Bitter Lemon - Thriller
zusammengekauert auf dem Beifahrersitz saß und ich aufs Gaspedal trat, als reichte die Flucht nach Köln mit 200 Sachen über die Autobahn schon aus, um sie zu retten. David, ich war ein solcher Idiot. Meine Dummheit hat die Kleine mit dem Leben bezahlen müssen. Sie war noch ein Kind. Ein Kind, das man zur Sklavin gemacht hatte. Weil damit viel Geld zu verdienen ist. Weil perverse Leute mit Geld wie dieser Cornelsen ihren Spaß haben wollen. Meine Naivität hat außerdem Marie das Leben gekostet. Marie, meine süße Marie. Du hättest sie kennenlernen müssen, David. Sie war die Sonne …«
Die Stimme versagte. Die Hände zitterten kaum merklich, als Zoran sich die nächste Zigarette anzündete.
» Wenn es dir möglich ist, mit auch nur einem kleinen Funken der Liebe diese Welt zu bereichern, dann hast du nicht vergebens gelebt. Zoran, hast du eine Ahnung, wer das geschrieben hat?«
»Diese Rosa Luxemburg schon wieder?«
»Jack London hat es geschrieben.«
»Jack? In welchem Buch?«
»Ich hab’s vergessen.«
»Unmöglich. Das ist nicht von Jack.«
»Du unbelehrbarer Dickschädel.«
»Sprich gefälligst leiser, David. Sonst muss ich gehen.«
»Niemand kann uns hören.«
»Doch. Die Toten. Du störst ihre Ruhe.«
»Zoran, wir wollen dich nicht verlieren.«
»Wer ist wir?«
»Artur … Tomislav … ich.«
»Wir beide haben uns schon verloren. Vor langer Zeit.«
»Wir haben uns doch gerade wiedergefunden.«
»Wie geht es Maja?«
»Ich weiß es nicht, Zoran.«
»Du hast sie noch nicht getroffen, seit du zurück bist?«
»Nein. Es ergab sich noch keine …«
»Du hättest sie damals nicht verlassen dürfen.«
»Ich habe sie nicht verlassen. Sie hatte mich verlassen. Du bastelst dir deine eigene Wirklichkeit, Zoran. Sie hatte mich verlassen, weil du sie dazu genötigt hattest. Sie hatte sich deinem massiven Druck gebeugt. Ich habe keine Ahnung, womit du sie unter Druck gesetzt hast. Ich ahne nur, warum: Du konntest es nicht ertragen, dass unsere Freundschaft spätestens nach dem Überfall auf den alten Mann am Ende war.«
»Falsch. Ich konnte es einfach nicht ertragen, dass Coach Manthey mich aus der Mannschaft gefeuert hatte. Dein Onkel. Seinen besten Spieler schmeißt er raus. Du hättest um Maja kämpfen müssen … gegen mich. Das hätte ich erwartet. Stattdessen bist du einfach aus ihrem Leben verschwunden.«
»Ich war 19.«
»Sie war 17. Na und?«
»Was willst du eigentlich, Zoran?«
»Du und Kristina und Tomislav: Bringt diesen Skandal an die Öffentlichkeit. Die Menschen in Deutschland sollen erfahren, dass es im 21. Jahrhundert mehr Sklaven auf der Welt gibt als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte. Und nennt die Schuldigen. Ohne Nachfrage kein Markt. Stellt diesen perversen Cornelsen an den Pranger. Stellvertretend für alle anderen. Um den Rest kümmere ich mich selbst.«
»Den Rest?«
»Das, was ich Dalia, Irina und Marie noch schuldig bin.«
Artur folgte Kristina durch die halbe Stadt. Erst als er sicher war, dass sich niemand an ihre Fersen geheftet hatte, gab er ein kurzes Signal mit der Lichthupe und stoppte die Triumph Tiger, um wieder zurück zum Schrottplatz zu fahren.
Nach 24 Kilometern über die dreispurige Autobahn verließ Kristina die A 3 Köln–Frankfurt und die Zivilisation. Sie brauchte gut zwanzig Minuten durch die Wälder des Naturparks Bergisches Land und fand auf Anhieb den schmalen, verwilderten Waldweg, der von der holprigen Landstraße abzweigte. Der Weg endete nach 400 Metern auf einer schattigen Lichtung, vor einer neoklassizistischen Villa aus der Gründerzeit.
Kristina stieg aus dem Wagen und zog unwillkürlich den Kopf ein, als eine Boeing 767-300 über die Baumwipfel und das völlig vermooste Dach der Villa hinwegdonnerte und die Vögel zum Schweigen brachte. Sie nahm die schwere Taschenlampe und die Handkamera aus dem Kofferraum.
Sie hatte kein Stativ dabei und außerdem keine ruhige Hand, wie sie bald feststellte, weil ihr das Herz bis zum Hals schlug. Aber das war nicht wichtig. Im Gegenteil: Je amateurhafter die Sequenzen gedreht waren, desto authentischer würden sie später wirken. Sie filmte das Haus von außen, schaltete die Kamera wieder aus, atmete tief durch, nahm ihren ganzen Mut zusammen und stieg die Freitreppe hinauf.
Alle Fensterläden im Erdgeschoss waren verschlossen. Die dekorativen Steinquader, die das Portal einrahmten, waren rußgeschwärzt, den Eingang hatte jemand notdürftig mit Brettern zugenagelt. Offensichtlich war
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