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Bitter Lemon - Thriller

Titel: Bitter Lemon - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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meistens gewonnen. Eigentlich immer. Gelegentlich bot er mir ein Remis an … wohl um mich bei Laune zu halten.«
    »Er war also gut darin.«
    »Jerkov spielte völlig unkonventionell. Es gab kein erkennbares Muster. In all den Jahren habe ich es nicht vermocht, auch nur bei einer einzigen Partie seine Strategie zu durchschauen. Heute denke ich: Es existierte keine Strategie. Er spielte rein intuitiv. Er vertraute völlig seinen Instinkten. Wie ein wildes Tier. Er studierte unentwegt mein Gesicht. Er schaute nie aufs Brett, während er nachdachte. Dachte er überhaupt nach? Er studierte aufmerksam mein Gesicht, er las in meinen Augen wie in einem Buch, dann machte er seinen nächsten Zug.«
    »Herr Doktor, heißt das etwa, er spielte stets nur Schach mit Ihnen, statt mit Ihnen zu reden?«
    »O nein. Wir redeten ständig. Vorher, meist nachher, aber auch währenddessen. Im Gegensatz zu mir schien das Plaudern seine Konzentration auf das Spiel nicht im Geringsten zu schmälern.«
    »Worüber sprachen Sie?«
    »Über Gott und die Welt. Er bestimmte die Themen. Er las regelmäßig Zeitung. Ich brachte ihm zu unseren Treffen meine privaten Exemplare der Süddeutschen und der FAZ der Vorwoche mit, und er las sie bis zu unserem nächsten Treffen, Zeile für Zeile, von der ersten bis zur letzten Seite. Und er hörte Radio. Nicht diese Dudelsender. Sondern Deutschlandfunk.«
    »Jerkov hat die Schule selten von innen gesehen …«
    »Ich weiß. Ich kenne seine Geschichte. Wir redeten allerdings nicht nur über politische Themen. Er hat mir viel über sich erzählt. Über seine Kindheit. Seine Familie. Seine Geburtsstadt Vukovar, die ihm so viel bedeutete, obwohl er sie schon als Kind verlassen musste, als seine Eltern sich entschieden, ihr Glück als Gastarbeiter in Deutschland zu versuchen. Wir redeten auch über den Bürgerkrieg. Oft sogar. Und was der Krieg mit den Überlebenden macht. Wussten Sie, dass er sich als junger Mann von Köln aus freiwillig zur kroatischen Armee meldete, obwohl er doch längst einen deutschen Pass besaß?«
    »Ja.«
    »Man stelle sich das mal vor: Er ging zurück, um seine Heimatstadt zu retten … die nicht zu retten war, wie wir heute wissen. Aber sobald meine Fragen nur eine Spur von beruflichem Interesse erkennen ließen, lehnte er sich zurück, schwieg eine Weile, lächelte dann und sagte: Doktor, wir haben doch eine Vereinbarung getroffen. Er spürte sofort, ob ihm gerade der Schachpartner gegenübersaß oder der Psychiater.«
    »Die Verweigerung einer Therapie hat seine Haft nicht gerade erleichtert, nehme ich an.«
    »Natürlich nicht.« Dr. Wilhelm Gründel beugte sich vor und senkte seine Stimme, als sei das, was er Kristina Gleisberg über den gewaltigen Schreibtisch hinweg mitzuteilen hatte, nur für ihre Ohren bestimmt: »Bedauerlicherweise verstehen deutsche Richter nicht allzu viel von der Konstellation der menschlichen Psyche. Das machen sich clevere Anwälte gerne zunutze. Sobald im Prozess aufgrund der erdrückenden Last der Beweise ein Freispruch in weite Ferne rückt, trimmen Verteidiger, die ihr Geld wert sind, ihre Mandanten auf geständig und reumütig und therapiewillig. Das mögen Richter und honorieren es gnädig. Das senkt das Strafmaß und führt später im Knast zu angenehmen Hafterleichterungen. Dabei sind die beiden wichtigsten Grundvoraussetzungen jeder erfolgreichen Psychotherapie der Wille zur Veränderung sowie die Freiwilligkeit.«
    »Ich nehme an, auf Zoran Jerkov traf nichts davon zu.«
    »Exakt, Frau Gleisberg. Die Gerichtsakten kennen Sie natürlich viel besser als ich. Mir ist bekannt, dass er zwar bei seiner Festnahme kurz mal seine Unschuld beteuerte, aber schon am nächsten Tag sowie während des gesamten Prozesses kein einziges Wort mehr sagte. Sehenden Auges in den Untergang. Nichts trug er während des Prozesses zu seiner Entlastung bei. Sein Anwalt war vermutlich ohne Chance.«
    »Sein Anwalt war eine Pfeife.«
    »Dabei heißt es gemeinhin, Heinz Waldorf sei ausgesprochen erfolgreich in seinem Job … zumindest, wenn es um die Verteidigung von Mafia-Bossen oder deren Fußvolk geht.«
    »Mag sein. Aber in diesem Prozess war er eine Pfeife.«
    Dr. Wilhelm Gründel lehnte sich in seinem Stuhl zurück und starrte eine Weile an die Decke, bevor er antwortete:
    »Im Nachhinein betrachtet mögen Sie mit Ihrer Beurteilung durchaus richtig liegen, Frau Gleisberg. Aber bei einem Mandanten wie Zoran Jerkov hätte sich jeder erstklassige Strafverteidiger die

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