Bitter Lemon - Thriller
Arizona Market ausschütteten?
David ließ das Blatt sinken, schaute geistesabwesend hinaus in den Garten und anschließend Artur beim Lesen zu.
»Artur?«
»Hm.«
»Hast du gewusst, womit Zoran sich beschäftigt?«
Artur reagierte nicht.
David las weiter.
Kontrolliert wird der Menschenhandel auf dem Arizona Market von der serbischen und der albanischen Mafia. Es gibt dort eine Börse, wo die aus Rumänien, Bulgarien, aus der Ukraine oder aus Moldawien verschleppten Frauen öffentlich versteigert werden. Fleischbeschau: Die Frauen werden nackt auf eine Bühne getrieben, die Kunden kneten ihre Brüste, fassen ihnen zwischen die Beine, kontrollieren ihr Gebiss. Die albanischen Händler versehen ihre Ware gewöhnlich mit einem Brandzeichen. Nur mit den ganz jungen und besonders schönen Frauen sind Spitzenpreise von 2000 Euro pro Stück zu erzielen. Der Verkäufer kann sich über die Handelsspanne nicht beklagen. Denn ihn hat die Ware bislang nichts weiter gekostet als den Sprit für den Transport aus dem Herkunftsland und die Bestechung korrupter Grenzbeamter mit einer Stange Marlboro. Tomislav hat es zunächst nicht glauben wollen. Aber in der moldawischen Kleinstadt Carpesti wurde ihm eine Fünfzehnjährige für 150 Euro angeboten – nicht zur Miete, für eine Stunde oder für einen Tag, sondern zum Kauf: Für 150 Euro ist die Fünfzehnjährige das Eigentum des Käufers auf Lebenszeit. Tomislav hat sofort die örtliche Polizei verständigt. Aber die hat das nicht weiter interessiert. Und der Polizeioffizier in Carpesti riet Tomislav eindringlich, sich besser ebenfalls nicht zu intensiv für diese Geschäfte zu interessieren …
»Artur?«
»Hmmm?«
»Kennst du jemanden namens Tomislav?«
Artur blickte von seiner Lektüre auf.
»Klar. Du auch.«
»Ich?«
»Ja klar. Tomislav Bralic. Der Pfarrer von Sankt Ursula, der den Coach und Günther getraut hat.«
»Der Kroate?«
»Klar doch. Prima Kerl.«
»Der Pfarrer, der Zoran das Alibi verschafft hat? Das Alibi, das Zoran am Ende aus dem Knast …«
»Sagte ich doch: prima Kerl.«
Carpesti hatte noch knapp 2300 Einwohner, als Tomislav dort war und den Bürgermeister besuchte. Die Zahl der Einwohner sinkt von Jahr zu Jahr. Sämtliche Schulen sind inzwischen geschlossen, weil es keine Lehrer mehr gibt. Carpesti ist eine Geisterstadt. Irina wurde in Carpesti geboren. Nach dem frühen Tod ihres Vaters – ein Arbeitsunfall in der Fabrik – zog sie mit ihrer Mutter in die moldawische Hauptstadt Chisinau, weil die Mutter hoffte, dort eher Arbeit zu finden. Moldawien, die ehemals kleinste Sowjetrepublik, ist heute das ärmste Land Europas. Das Bruttosozialprodukt liegt nur geringfügig über dem Haitis oder des Sudan. Etwa die Hälfte der Bevölkerung lebt von weniger als zwölf Dollar pro Monat. 30 Prozent der Bevölkerung sind unter 18 Jahre alt. Rund 17 000 Kinder leben in trostlosen Heimen für Sozialwaisen. Ihre Eltern waren nicht mehr in der Lage oder weigerten sich, sie zu versorgen. Tomislav sagt, gegen diese Heime sei jeder deutsche Knast ein Fünf-Sterne-Hotel. Seit dem EU-Beitritt Rumäniens ist Moldawien außerdem Grenznachbar der Europäischen Union – was die Sache für Menschenhändler erheblich erleichtert. Moldawien ist Europas größter Lieferant von Sexsklavinnen. Seit der Unabhängigkeit wurden mehr als 400 000 moldawische Frauen versklavt und außer Landes gebracht. In der Hauptstadt Chisinau zählte Tomislav gut ein Dutzend Filialen von Western Union. Pro Jahr werden rund fünf Milliarden Dollar privat aus dem Ausland nach Moldawien überwiesen. Finanzielle Unterstützung für die Verwandtschaft jener Migranten, die es im Ausland geschafft haben, die einen vernünftig bezahlten Job gefunden haben. Aber auch Mafiagelder, die gewaschen werden sollen, außerdem die Belohnungen für die Schlepper, die neue Opfer für die Zwangsprostitution vermitteln. Fünf Milliarden Dollar: Diese Summe ist doppelt so hoch wie das gesamte Bruttoinlandsprodukt des Landes. Western Union ist sehr beliebt in solchen Ländern. Wegen des Geschäftsmodells: Man überweist die Summe nicht von einem Bankkonto, sondern zahlt ohne lästige Formalitäten in bar ein, und am anderen Ende der Welt wird es an den Empfänger ebenso unbürokratisch in bar ausgezahlt. Diese verfluchten Matrjoschkas lieben Western Union …
»Artur, was sind Matrjoschkas?«
»Hm?«
»Matrjoschkas. Was sind das?«
»Püppchen. Sie zeigen Bauersfrauen in traditioneller Tracht.
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