Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Bitter Lemon - Thriller

Titel: Bitter Lemon - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
Vom Netzwerk:
Kinderspielzeug. Kennst du doch: diese berühmten russischen Holzpüppchen, die man ineinanderschachteln kann, weil sie innen hohl sind. Wenn du so willst, ist jede Figur nur die Verpackung der nächstkleineren Figur. Warum fragst du?«
    »Jetzt weiß ich, was du meinst. Die gibt’s hier doch immer auf den Weihnachtsmärkten. Aber was könnten diese Püppchen mit Geldgeschäften zu tun haben?«
    Artur blickte von seiner Lektüre auf.
    »Matrjoschka-Firmen. Russische Mafia. Geldwäsche. Diverse Beteiligungen, Tochterfirmen, Briefkastenfirmen werden so lange verschachtelt, bis die wahre Identität ihrer Eigentümer nicht mehr erkennbar ist. Soll ich frischen Kaffee machen?«
    David schüttelte den Kopf und las weiter.
    Das Muster ist fast immer identisch. Dass es trotzdem immer wieder funktioniert, lässt sich nur mit der Unwissenheit der Frauen durch mangelnde Bildung sowie mit dem gewaltigen sozialen Druck durch die bittere Armut erklären. Erschreckend oft wird der erste Kontakt durch Bekannte, Kollegen, Nachbarn und sogar durch Verwandte hergestellt, männlichen, nicht selten aber auch weiblichen Geschlechts. Klassische Betrügerfiguren, sorgsam ausgewählt und geschult. Diese Erstkontakter behaupten, jemanden zu kennen, der jemanden kennt, der einen gut bezahlten Job als Kellnerin oder Verkäuferin im goldenen Westen vermitteln könne. Nicht nur Liebe macht blind. Auch Hoffnung macht blind. Denn jeder in Moldawien hat schon mal von jemandem gehört, der es im Ausland geschafft hat. Dieses Muster funktionierte offenbar auch bei Irina – beziehungsweise bei Irinas Mutter, wie Tomislav bei seinen Recherchen in Chisinau herausgefunden hat.
    Irina. Jetzt erinnerte sich David, wann und wo ihm der Name schon einmal begegnet war. Als er in dem Café auf dem Flughafen Zorans Prozessakten studiert hatte. Unmittelbar bevor er sich entschied, nicht zurück nach Ibiza zu fliegen. Der Name tauchte nur ein einziges Mal in den Akten auf: Um 04.19 Uhr erschien am Tatort völlig überraschend ein Mann, der sich mit seinem Personalausweis als Zoran Jerkov ausweisen konnte, deutscher Staatsangehöriger kroatischer Abstammung, geboren 1970 im damals jugoslawischen Vukovar. Der Mann besaß einen Schlüssel zur Wohnung und versicherte, er sei der Lebensgefährte der Marie Pivonka. Wir konfrontierten ihn damit, dass Marie Pivonka tot sei. Äußerlich reagierte der Siebenundzwanzigjährige zwar gefasst und beantwortete unsere Frage, wann und wo er seine Lebensgefährtin zum letzten Mal gesehen habe. Allerdings wirkte er fortan apathisch, wie in Trance, und fragte, wo Irina sei. Zunächst vermuteten wir, dass seine Verwirrtheit durch den Schock dazu führte, den Vornamen seiner Lebensgefährtin zu verwechseln. Wir erklärten ihm, keine weitere Person in der Wohnung angetroffen zu haben. Noch während sich David an die Akten erinnerte, fällte er sein Urteil: ein unverzeihlicher Fehler der Ermittler. Die Beamten hakten erst bei einer der späteren Vernehmungen im Präsidium nach, wer denn diese Irina sei, von der er in der Mordnacht gesprochen habe. Aber da stand Zoran bereits unter Mordverdacht und hatte das Reden eingestellt. Und im Prozess spielte der Name überhaupt keine Rolle mehr. Eine einzige Farce, sowohl die Ermittlungen als auch der Prozess. Aber Zoran hatte damals alles Erdenkliche dazu beigetragen, für zwölf Jahre in den Knast zu wandern.
    Irina war 13, als ihre Mutter einen Mann kennenlernte. Zufällig, wie sie glaubte. Ein Gast in dem Restaurant, in dem sie als Kellnerin arbeitete. Der Mann, der sich ihr mit dem Vornamen Grigorii vorstellte, war höflich und charmant, er war gut gekleidet, er hatte Manieren. Grigorii machte Irinas Mutter den Hof. Er schickte ihr Blumen, machte ihr Komplimente, führte sie ins Kino aus, er überredete sie zum Kauf einer Waschmaschine, keine Widerrede, und streckte ihr großzügig das Geld vor. Das könne sie abstottern, nach Belieben, ohne Zinsen. Es habe keine Eile, und Geld bedeute ihm nichts, weil er genug davon besitze als Filialleiter einer amerikanischen Computerfirma. Grigorii war sanft, verständnisvoll, einfühlsam. Er war ganz anders als die moldawischen Männer, denen Irinas Mutter bisher begegnet war. Er war auch ganz anders als ihr früh verstorbener Ehemann. Grigorii gab ihr ständig das wohlig wärmende Gefühl, eine schöne und begehrenswerte Frau zu sein. Nie war er missgelaunt, nie wurde er grob. Nach all den Jahren der materiellen und seelischen Entbehrungen fühlte sie

Weitere Kostenlose Bücher