Bitter Lemon - Thriller
Angriffe auf die wirtschaftlichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland, streng geheim, oberste Priorität, und wen wählten sie als einzigen BKA-Verbindungsmann für das vornehmlich aus aktiven oder ehemaligen BND-Agenten sowie einigen MAD-Offizieren bestehende Projektteam aus? Kriminalhauptkommissar Lars Deckert. Wen sonst?
Diese unerträgliche Schwüle.
Schweißperlen sammelten sich auf seiner Stirn, und sein T-Shirt fühlte sich im Rücken bereits unangenehm feucht an. Dennoch widerstand er der Versuchung, das Sakko auszuziehen. Wegen der Waffe an seinem Gürtel.
Die Tür der Kneipe stand sperrangelweit offen. Schlagermusik. Kirmesmusik. Festzeltmusik. Du gehööörst zu mir. Vier Typen hielten sich an der Theke fest, als wäre sie der letzte Rettungsanker ihres verpfuschten Lebens. Gebeugte Rücken, leidgeprüft, weil das Leiden geiler war als die Lösung. Röschen, tu mir noch en Bierchen. Klar doch. Dafür war Röschen schließlich da. Um sich mit perfekt gespielter Teilnahme all die Scheiße anzuhören, all die vor Selbstmitleid triefenden Geschichten über garstige Ehefrauen und undankbare Bälger und ungerechte Chefs, und währenddessen den Zapfhahn zu bearbeiten und Umsatz zu machen. Röschen war genauso alt und grell geschminkt wie die Nutte von der Straße, aber Röschen verstand ihr Geschäft.
»Haben Sie auch Kaffee?«
»Nä. Leider nich, nur Bier«, entgegnete Röschen und lächelte teilnahmsvoll. Die Typen guckten verständnislos. Lars Deckert verließ die Kneipe in Richtung Hauptbahnhof.
Am Ende der Unterführung blieb er wie angewurzelt stehen. Der verbeulte R4 hielt am Straßenrand, keine zwanzig Meter von ihm entfernt, neben dem Platz vor der Kirche. Lars Deckert erkannte sowohl das Nummernschild des Wagens als auch den Mann, der jetzt auf der Beifahrerseite ausstieg, die Tür zuschlug und zum Abschied winkte, während der Wagen beschleunigte und wenig später aus Deckerts Sichtfeld verschwand. Der R4 gehörte diesem schwulen Trompeter, der spurlos aus seiner Wohnung am Stavenhof verschwunden war. Und der Mann, der so fröhlich winkte, war zweifellos dieser kroatische Pfarrer, der Jerkov das Alibi verschafft hatte. Tomislav Bralic.
Lars Deckert hatte weder die Chance, dem R4 zu folgen, noch die rechtliche Handhabe, sich diesen Pfarrer vorzuknöpfen, was er in diesem Augenblick zu gerne getan hätte. Sie hätten Bralic von Anfang an observieren sollen, so wie die anderen. Sie hatten eindeutig zu wenig Personal auf der Straße. Warum weigerte sich Kern, die Kölner Polizei ins Boot zu holen?
Als Bralic in der Gasse neben der Kirche verschwunden war, machte Deckert sich Luft, indem er mit der Faust gegen den Laternenpfahl hämmerte. Er hasste das Nichtstun. Aber genau das hatte Uwe Kern befohlen. Deckert, ich sage Ihnen das in aller Deutlichkeit: Wir halten die Augen und Ohren offen, aber wir unternehmen im Augenblick nichts, absolut gar nichts, verstanden? Wir warten wie die Spinne im Netz auf unsere Chance. Ist das klar? Klar. Gar nichts war klar. Sie hatten nicht mal ein Dutzend Leute zur Verfügung, um eine Millionenstadt zu kontrollieren, weil Kern darauf bestand, sowohl die Kölner Polizei als auch das BKA aus der Sache herauszuhalten.
Sie hatten nicht die geringste Ahnung, wo sich Zoran Jerkov, Kristina Gleisberg und David Manthey versteckt hielten. Sie observierten Jerkovs Geschwister rund um die Uhr und bislang ohne Ergebnis. Sie verfügten über das beste technische Equipment, das derzeit für Geld zu kriegen war, über die besten IT-Spezialisten und über unbeschränkten Zugang zu allen Datenbanken der Behörden, der Telefongesellschaften und der Internet-Provider. Aber leider waren die drei Zielobjekte gerissen genug, auf Handy, E-Mail, GPS, auf sämtliche modernen elektroni sche Kommunikationsmittel des 21. Jahrhunderts zu verzich ten.
Das SOK wusste nur, dass Kecmans Söldner bereits in Köln unterwegs waren, um Jerkov, Gleisberg und Manthey zu kassieren. Außerdem wussten sie, wo sich Milos Kecman derzeit aufhielt. Er hatte vor fünf Tagen sein russisches Domizil in Sankt Petersburg verlassen und war mit einem Privatjet nach Mallorca geflogen, um sich dort eine Weile auf seiner Finca zu entspannen. Gewöhnlich dauerten diese Aufenthalte nie länger als zehn Tage, versicherte der spanische Geheimdienst.
Das Sonderkommando Organisierte Kriminalität, kurz SOK genannt, war noch mitten in der Aufbauphase. Aber die Regierung in Berlin wollte schnelle Erfolge sehen, um die
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