Bitter Süsse Tode
und winkte auch nicht. Sie würde morgen mit verschwommener Erinnerung aufwachen. Nur ein Abend mit den Mädels.
Ich hätte zu gerne geglaubt, sie wäre aus der Sache raus, aber ich wusste es besser. Es roch nach Regen. Die Straßenlampen glänzten abseits vom Bürgersteig. Die Luft war fast zu dick zum Atmen. St. Louis im Sommer. Einsame Spitze.
8. Kapitel
»Wollen wir?«, fragte Jean-Claude.
Sein weißes Hemd leuchtete in der Dunkelheit. Wenn ihm die Feuchtigkeit etwas ausmachte, so sah man es ihm nicht an. Aubrey stand im Schatten neben der Tür. Das einzige Licht, das auf ihn fiel, kam von dem scharlachroten Neon des Clubschilds. Er grinste mich an, das Gesicht gerötet, der Körper im Dunkel verborgen.
»Es ist ein bisschen zu künstlich, Aubrey«, sagte ich.
Sein Grinsen begann sich aufzulösen. »Was meinen Sie?«
»Sie sehen aus wie ein B-Movie-Dracula.«
Mit der mühelosen Perfektion, die nur die ganz Alten haben, glitt er die Stufen herab. Im Licht der Laterne sah man sein angespanntes Gesicht, geballte Fäuste.
Jean-Claude trat vor ihn und redete leise in beruhigendem Flüsterton. Aubrey wandte sich mit ruckartigem Schulterzucken ab und schwebte die Straße hinauf.
Jean-Claude kam zu mir. »Wenn Sie ihn weiterhin verspotten, wird er an einen Punkt gelangen, wo ich ihn nicht mehr zurückholen kann. Und Sie werden sterben.«
»Ich dachte, Ihre Aufgabe wäre es, mich lebend zu Nikolaos zu bringen.«
Er runzelte die Stirn. »Das stimmt, aber ich werde nicht sterben, um Sie zu verteidigen. Begreifen Sie das?«
»Wenn Sie es sagen.«
»Gut. Gehen wir?« Er zeigte den Bürgersteig hinunter in die Richtung, die Aubrey genommen hatte.
»Wir gehen zu Fuß?«
»Es ist nicht weit.« Er hielt mir eine Hand hin.
Ich sah sie an und schüttelte den Kopf.
»Es ist notwendig, Anita. Ich würde sonst nicht darum bitten.«
»Warum ist es nötig?«
»Unser nächtlicher Ausflug muss vor der Polizei geheim bleiben, Anita. Halten Sie meine Hand, spielen Sie die törichte Frau mit einem Vampirliebhaber. Das wird das Blut auf Ihrer Bluse erklären. Es wird erklären, wohin wir gehen und warum.«
Seine Hand blieb ausgestreckt, bleich und schmal war sie. Da war kein Zittern der Finger, keinerlei Bewegung, so als könnte er dort stehen und mir auf ewig seine Hand bieten. Und vielleicht könnte er es tatsächlich.
Ich nahm sie. Die langen Finger schlossen sich um meinen Handrücken. Wir gingen los. Seine Hand lag ganz still in meiner. Ich fühlte meinen eigenen Puls an seiner Haut schlagen. Sein Pulsschlag beschleunigte sich, um sich meinem anzugleichen. Ich spürte sein Blut strömen, als hätte ich ein zweites Herz.
»Haben Sie heute Abend schon Ihren Hunger gestillt?« Meine Stimme klang weich.
»Wissen Sie das nicht?«
»Bei Ihnen weiß ich nie.«
Ich sah ihn aus den Augenwinkeln lächeln. »Ich bin geschmeichelt.«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
»Nein«, sagte er.
»Nein, Sie haben nicht geantwortet, oder nein, Sie haben nicht gegessen?«
Er wandte mir das Gesicht zu, während er weiterging. Auf seiner Oberlippe glänzte Schweiß. »Was glauben Sie, ma petite?«, fragte er mit dem sanftesten Flüstern.
Ich zuckte mit der Hand, versuchte von ihm wegzukommen, obwohl ich wusste, dass es albern war und nicht gelingen würde. Seine Hand schloss sich und drückte, bis ich japste. Er brauchte sich nicht einmal anzustrengen.
»Kämpfen Sie nicht gegen mich, Anita.« Seine Zunge leckte über die Oberlippe. »Kämpfen ist - aufregend.«
»Warum haben Sie noch nicht gegessen?«
»Ich wurde dazu angewiesen.«
»Warum?«
Er antwortete nicht. Ein prasselnder Regen setzte ein. Weich und kühl.
»Warum?«, wiederholte ich.
»Ich weiß es nicht.« Die Antwort verlor sich fast in dem weichen Fall des Regens. Bei jedem anderen hätte ich gesagt, dass er sich fürchtete.
Das Hotel war hoch und schmal und aus echten Ziegelsteinen gebaut. Das Schild außen leuchtete blau und verkündete »Zimmer frei«. Ein anderes Schild gab es nicht. Nichts, das einem sagte, wie der Laden hieß oder was es eigentlich war. Nur »Zimmer frei«.
Regentropfen glitzerten in Jean-Claudes Haar wie schwarze Diamanten. Mein Oberteil klebte mir am Körper.
Das Blut begann sich herauszuwaschen. Kaltes Wasser war genau das Richtige für einen frischen Blutfleck.
Ein Polizeiwagen bog langsam um die Ecke. Ich spannte mich an. Jean-Claude zog mich ruckartig an sich. Ich drückte die flache Hand an seine Brust, um zu
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