Bittere Delikatessen
ich«, erwiderte Tom.
Sie wühlten sich zum Büfett durch. Papierdecken und Servietten waren blau-weiß kariert. Die Kellner trugen bayerischen Trachtenlook. Alles stand unter dem Motto Watzmannhaus.
»Das wird doch nichts anderes als eine weitere dieser grottenschlechten Seifenopern«, sagte ein älterer Herr mit Halbbrille, der vor Tom stand und nach den Käsehäppchen angelte.
»Was wollen Sie? Trash ist heutzutage Teil der medialen Folklore!«, hörte Tom einen feisten, jüngeren Mann in dunklem Anzug antworten. Trotz der Hitze trug der Feiste eine Weste unter dem Jackett.
Tom sah an sich herab: die Hose seines dunkelblauen Anzugs, dazu ein kurzes, modisch-buntes Hemd, das Gabi ihm gekauft hatte. Er war nicht ganz sicher, ob er Jeannettes Geschmack getroffen hatte. Einen Augenblick lang hatte er überlegt, seine Brille im Auto zu lassen, doch ohne sie hätte er nicht einmal Jeannettes Nabelring entdeckt.
Die Maskenbildnerin schaufelte die verschiedenen Kleinigkeiten in sich hinein, mit denen sie ihren Teller vollgeladen hatte. Mit vollem Mund wies sie ihn auf weitere Kollegen und Prominente hin.
Es gab eine Bühne, und ringsherum standen Kulissen: Berge, Kühe und Almhütten aus Pappe. Tom fragte die Maskenbildnerin, ob in dieser Halle die Dreharbeiten für die Fernsehserie stattfänden.
»Nein, das ist drüben im großen Studio. Hier werden verschiedene Shows für Pro-Sat gemacht, zum Beispiel die Mini-Karaoke-Show. Kennst du die Sendung?«
Tom hatte davon gehört. Eine Holländerin führte Kinder vor, die Popstars nachmachten. Jedes Mal, wenn wieder eine Zehnjährige im Nuttenfummel zu Madonna-Liedern tanzte, empörten sich die Feministinnen. Und der Blitz schrieb, wie süß die Mini-Karaoke-Show doch sei.
»Antje wird heute Abend auch moderieren«, erklärte Jeannette.
Selbst die Band trug Trachtenkostümierung. Sie spielte US-Popmusik, aktuelle Hits. Tom und Jeannette mischten sich unter die Tanzenden. Tom war beeindruckt. Es war das großartigste Fest, das er je erlebt hatte. Immer wieder suchte er beim Tanzen die Berührung mit Jeannette. Sie entzog sich ihm nicht.
Dann machte die Musik eine Pause, und Antje betrat die Bühne. Sie kündigte ein hohes Tier des Senders an und machte ein Theater, als ginge es um die Oscarverleihung.
Jeannette ging auf Zehenspitzen und berührte mit den Lippen fast Toms Ohr. »Marco Gladisch, der große Boss. Es gibt ihn also wirklich!«
Von groß konnte keine Rede sein. Tom erinnerte sich, dass man ihn auch Napoleon nannte. Er hatte sich einen Programmdirektor viel älter vorgestellt.
»Der ganze Sender zittert vor ihm«, ergänzte Jeannette. Tom legte seinen Arm um ihre Taille. Auch er zitterte leicht, jedoch aus einem anderen Grund.
Gladisch griff sich das Mikrofon: »Ich will es kurz machen, denn wir wollen feiern. Wir feiern den Sommer, der dieses Jahr heißer ist als sonst. Und wir feiern den Beginn einer Produktion, die heißer sein wird als alles andere zuvor. Es geht um Freud und Leid, um Herz und Schmerz, um Kabale und Liebe, und vor allem um das, was uns alle antreibt – das wahre Leben!«
Hunderte von Gästen applaudierten.
»Den Mitarbeitern möchte ich sagen, dass es wunderbar ist, zu verfolgen, mit wie viel Freude und Schwung Sie dieses großartige Projekt angehen. Schon nach einer guten Woche ist klar: Das kann nur ein Erfolg werden! Ein Erfolg, der alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt!«
Der Applaus wurde stärker.
»Schon jetzt schreiben einige Kritiker, in diesen Hallen würden wir geistiges Junkfood produzieren. Sie wissen, das prallt an mir ab. Jawohl, ich bekenne mich dazu: Das Watzmannhaus ist eine Seifenoper, und zwar im besten Sinne. Wir produzieren für die Zuschauer, nicht für die Kritik. Für die Menschen im Lande. Und dafür geben wir unser Bestes!«
Begeisterung.
»Und noch etwas zum Schluss an alle Mitarbeiter: Je weiter die Produktion fortgeschritten ist, desto teurer wird es, Sie zu ersetzen. Also lassen Sie sich bitte in der nächsten Zeit nicht mit Drogen erwischen, zumindest bis die Arbeiten am Watzmannhaus zu Ende sind. Danke.«
Gelächter und Bravorufe.
Dann trat ein bärtiger Typ auf, der von den Schuhen bis zum Hut komplett in Weiß gekleidet war. Auch er lieferte sein Bekenntnis zur Seifenoper ab. Er sei ein »passionierter Aficionado jeglicher Pulp Fiction«. Was immer das auch heißen mochte.
»Dietling, der Regisseur«, erklärte Jeannette. Sie streichelte Toms Hand, die auf ihrer Hüfte lag.
Es
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