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Bittere Delikatessen

Bittere Delikatessen

Titel: Bittere Delikatessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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schrecklichen Bilder, die wie Kaugummi in Bens Hirn klebten. Das Klatschen der Ohrfeigen war das Leitmotiv seiner Kindheit.
    »Die Zeit ist ein dünnes Pflaster für unsere Wunden«, sagte Nora.
    Ben nickte. »Ich fürchtete mich immer vor dem Nachhausekommen. Ich wusste nie, was passieren würde. Einmal schlug er mich mit dem Schürhaken. Mit der Zeit gewöhnte ich mich daran. Ich rollte mich zusammen wie ein Ball. Wenn er sich beruhigt hatte und die dicken, blaugrünen Striemen sah, fragte er: Wie ist das denn passiert?«
    Jetzt war Nora dran: »Ich war oft krank. Anfälle. Ich hörte Stimmen und fühlte, wie mein Körper verbrannte. Ich dachte, ich sei vom Teufel besessen.« Nora streckte ihm ihre Arme entgegen. »Ich ritzte mir immer wieder mit dem Messer die Arme blutig. Heimlich. Indem ich es tat, bewies ich mir, dass ich existierte.« Nora lehnte sich gegen Ben, ihr Haar floss über seine Brust.
    Ben nahm sie in den Arm. Er erzählte von seiner Mutter, einer schönen, zierlichen Frau wie Nora. Er erzählte vom Tag der großen Katastrophe.
    Bens Vater hatte wieder einmal getrunken. Er wütete durch das Haus, weil Ben oder seine Mutter eine der kleinlichen Regeln verletzt hatte, mit denen er die Familie terrorisierte. Ben riss aus. Er rannte nach draußen, über die Felder, in den Wald. Er sprang über Bäche und Zäune, bis seine Lunge brannte. In der Krone eines Baumes wartete er die ganze Nacht hindurch, frierend und von Dornen zerkratzt. Sein Versteck, hier fühlte er sich halbwegs sicher. Im Morgengrauen hoffte er, die Wut seines Vaters hätte sich gelegt. Ben schlich zurück und fand das Haus verlassen vor. Seine Mutter war tot, und sein Vater von der Polizei weggeschafft.
    »Ich war bei einigen Seelenklempnern, Nora. Ich war in Heimen und bei Ärzten. Keiner konnte mir das Gefühl nehmen, meine Mutter hätte überlebt, wenn ich nicht davongerannt wäre. Ich weiß, es ist verrückt, aber das Gefühl geht nicht weg. – Jetzt kennst du meine Geschichte.«
    Nora drückte sich an ihn. »Das Leben zieht seine Fäden durch unsere Herzen und näht unerbittlich seine Muster«, sagte sie.
    Sie sahen einander an. Noras Augen hatten einen feuchten Schleier. »Bei dir fühle ich mich geborgen«, erklärte sie. »Du kannst zuhören. Du hast Geduld.«
    Sie küssten sich. Gegenwart und Vergangenheit verschwammen wie die Aussicht aus einer Achterbahn. Doch die ungeklärten Fragen wirbelten in Bens Kopf weiter.
    »Welchen Streit hattest du mit Falk?«
    Nora legte einen Finger auf seinen Mund. »Es reicht. Lass uns nicht mehr von der Vergangenheit sprechen«, sagte sie.
    »Und warum hattest du mit Gladisch Streit?«
    »Hör auf, Benedikt! Warum können wir es uns nicht einfach schön machen?«
    »Okay, du hast recht.« Ben hatte einen Entschluss gefasst. Die Lösung aller Fragen. »Pack deinen Koffer und lass uns nach Südamerika fliegen! Es gibt da ein paar Länder, die nicht ausliefern. Ich kann unsere Spuren verwischen.«
    Er spürte, wie sie sich anspannte. Senkrechte Linien erschienen auf ihrer Stirn. Er hatte damit gerechnet, dass sie zunächst überrascht wäre. Umso mehr würde sie sich freuen, wenn sie merkte, dass er es ernst meinte. Dass er nicht mehr als Bulle mit ihr sprach.
    »Hab keine Angst, Nora! Wir schaffen das! Ich habe genügend Geld. Zumindest fürs Erste ist unser Leben sicher. Sie werden uns am Flughafen nicht aufhalten.«
    »Benedikt!«
    »Es macht mir nichts aus, was du getan hast. Ich weiß selbst, wie stark Hass sein kann. Ich kann dich gut verstehen und werfe dir nichts vor. Lass uns gemeinsam neu anfangen.«
    »Bist du übergeschnappt?«
    »Ich weiß, dass deine Alibis falsch sind. Du hast heute früh mit Iris telefoniert und nicht geschlafen. Ich habe es noch keinem gesagt, aber sie werden dahinterkommen. Lass uns abhauen, solange es nicht zu spät ist.«
    Er spürte, wie es in ihr arbeitete. Sie musste sich erst an den Gedanken gewöhnen, mit ihm zu fliehen. Doch es war der einzige Ausweg, den Ben sah.
    Nora blähte die Nasenflügel auf und atmete tief durch. Dann holte sie aus und schlug Ben ins Gesicht. Es brannte, als hätte sie ihm die Haut abgezogen.
    »Du bist und bleibst ein verdammter Schnüffler! Glaubst du, ich fahre mit dir in ferne Länder und gebe hier meine Karriere auf? Gerade noch habe ich gedacht, ich könnte mich in dich verlieben, und dann sagst du, ich sei eine Mörderin! Schnüffler! Verdammter Bulle!« Sie holte erneut aus.
    Ben hielt sie fest. »Nora, du musst dich der

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