Bittere Delikatessen
Realität stellen!«
»Die Realität ist, dass du dich hier einschleichst und mich zur Verbrecherin machen willst!«
»Nora!«
»Die Realität ist, dass ich hierbleibe und Karriere mache. Weihnachten startet das Watzmannhaus. Das Fernsehpublikum wird mich lieben. Du kannst mir gestohlen bleiben! Die Realität ist, dass du jetzt sofort aus meinem Haus verschwindest!«
»Nora, hör mir doch zu!«
»LASS MICH LOS! VERSCHWINDE!«
56.
Observieren – das war das Einzige, was Tom in seinen drei Wochen beim K2 wirklich gelernt hatte. Er beherrschte die Regeln. Bönte hatte sie ihm beigebracht. Nicht zu dicht auffahren, auch mal einige Autos zwischen dich und den Verfolgten lassen, damit dieser keinen Verdacht schöpft. Wenn du an der Ampel hinter ihm stehst, darfst du nicht nach vorne starren, denn das könnte ihm im Rückspiegel auffallen. Und wenn der Observierte als Letzter über die Kreuzung kommt und du bei Rot halten musst, brauchst du nicht nervös zu werden. Denn fast immer schafft dein Vordermann die nächste Kreuzung nicht mehr und steht dort, bis ihr beide Grün habt. Dann bist du wieder auf seinen Fersen.
Tom wischte sich den Schweiß von der Stirn. Obwohl die Sonne bereits tief stand, heizte sie noch mächtig ein. Ein Jogger keuchte vorbei. Wahnsinn, bei den Ozonwerten.
Wenn deine Zielperson ein Haus betritt, kann es schwierig werden. Nicht, wenn es ein belebtes Viertel ist, Innenstadt oder anonyme Mietskasernen. Aber in ruhigen, besseren Gegenden gibt es immer Nachbarn, die am Fenster hängen und denen du auffällst, wenn du im Auto sitzen bleibst und eine Tür oder ein Fenster im Auge behältst. In richtig guten Gegenden gibt es diese Nachbarn allerdings nicht mehr. In einer Villengegend wie dieser gibt es nur Mauern und Hecken, und die Häuser stehen weit zurückversetzt in irgendeinem Park.
Die Tür ging auf. Tom stand rund hundert Meter entfernt und saß tief in seinen Sitz gesunken. Er sah auf die Uhr. Fast zwei Stunden war der große Tröster bei ihr gewesen. Viel zu lange für eine dienstliche Vernehmung.
Erst als Bens Auto aus seinem Blickfeld verschwunden war, startete Tom. Er rollte einen Hügel hinab, ein paar Kurven, dann fädelte er drei Autos hinter seiner Zielperson in die Hauptverkehrsstraße ein. Zwei Stunden, in denen Tom hier draußen auf Lauer gesessen hatte, statt in Akten über Kindesmissbrauch, Drogen und Prostitution nach Verbindungen zu Feinkost-Fabian zu forschen. Tom hatte deshalb kein schlechtes Gewissen. Für ihn stand die Mörderin ohnehin bereits fest: Nora Fabian, die Schauspielerin. Auch wenn Engel das nicht wahrhaben wollte.
Benedikt Engel überquerte den Rhein. Und begann, Tom Rätsel aufzugeben.
Es ging wieder stadtauswärts, diesmal nach Osten. Die große Ausfallstraße entlang, vorbei an Arbeitervierteln und heruntergekommenen Gewerbegebieten. Irgendwo dort lag die Halle, wo Tom das Drogendepot gefunden hatte. Engel fuhr weiter, Richtung Autobahn.
An der Auffahrt lag der Park-and-ride-Parkplatz. Fast hätte Tom verpennt, dass Engel abbog. Er hatte Mühe, seiner Zielperson durch die Reihen abgestellter Autos zu folgen. Schließlich sah er, wie Engel neben einem kleinen roten Mazda hielt.
Benedikt Engel öffnete die Heckklappe, verschloss sie wieder und wischte mit einem Tuch über den Griff. Dann machte er sich im Inneren zu schaffen. Schließlich wischte er über beide Türen. So beseitigt man Fingerabdrücke, dachte Tom und notierte sich die Zulassungsnummer.
Anschließend folgte er Engel stadteinwärts. Nach zwanzig Minuten erreichten sie den Hafen. Es ging vorbei an Industrieanlagen und eingezäunten Brachflächen, bis an das letzte Hafenbecken. Eine gottverlassene Gegend. Tom hielt Abstand.
Der K1-Mann stieg aus und starrte auf das Wasser. Dann betrat er ein Häuschen, vor dem zwei Limousinen parkten. Ein brackiger Geruch wehte um Toms Nase. Engel kam zurück.
Er ging langsam über das Gelände, als suchte er nach Spuren. Wieder blieb er am Hafenbecken stehen. Tom konnte sich keinen Reim darauf machen.
Engel fuhr zurück, Tom blieb.
Er war jetzt neugierig auf die Fahrer der beiden Limousinen. Als sich nach zehn Minuten nichts getan hatte, lief er selbst zu dem Häuschen. Sein Herz arbeitete so heftig, dass es in seinen Ohren knirschte.
Das Häuschen war wie ausgestorben. Die Fensterscheibe zerborsten, das Türschloss aufgesprengt. Auch im Inneren ein Bild der Zerstörung. Der Boden war übersät mit abgebröckeltem Putz. Bis auf einen
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