Bittere Delikatessen
kommt es an. So etwas nennt man Indiz.«
Nora schwieg und nahm einen letzten Zug. Sie drückte den glühenden Stummel in einem Blumentopf aus. Plötzlich starrte sie Ben an. Ihre Augen waren weit aufgerissen. »Mein Gott – Max war's! Das ist die Erklärung! Kennst du den Film Ein Käfig voller Irrer? Eine Verwechslungskomödie. Max kann das. Er schlüpft in Frauenkleider, setzt sich eine Perücke auf, und du würdest schwören, es wäre eine Frau!«
»Du meinst ... – Warum sollte er das tun?«
»Um mich zu kriegen. Max ist verrückt genug, so etwas zu tun. Was meinst du, was der schon alles angestellt hat!«
Ben erinnerte sich vage an den Film und an die wenigen Male, die er Max Traube erlebt hatte. Er war verunsichert und wusste nicht, was er von Noras Theorie halten sollte.
Sie schien überzeugt zu sein. »Das ist die Idee! Der Mörder muss sich tarnen, damit der Verdacht auf jemand anders fällt. Wenn du Max kennen würdest, dann würdest du ihm das zutrauen.«
»Das heißt, er bot dir ein falsches Alibi an, und indem du das annahmst, hast du in Wirklichkeit dem richtigen Täter ein Alibi gegeben. Das wäre verdammt raffiniert.«
Nora erzählte ihm von ihrer Zeit in Frankreich und von ihrem Verhältnis zu Traube. Sie hätte ihn längst zum Teufel gejagt, wenn er nicht immer wieder für sie gesorgt hätte, wenn es ihr schlecht gegangen war. Und es war ihr sehr oft schlecht gegangen. Sie redeten und kamen sich allmählich näher. Bis sie Arm in Arm in den klaren Himmel sahen und Sternschnuppen zählten.
»Jetzt geht es mir gut«, sagte die Schauspielerin. »Sag mal, Benedikt, hast du vielleicht etwas anderes als Cappuccino, was du mir anbieten kannst?«
»Wasser, Saft, was du willst. Von mir kannst du alles bekommen außer Alkohol.«
»Ich dachte eigentlich ans Bett.«
Ihr Mund war ganz nah, und er küsste sie. Brauning hatte ihn ohnehin vom Fall entbunden, dachte Benedikt. Er hatte nicht viel zu verlieren. Such dir ein Mädchen, das in die Kirche geht. Zum Teufel, das war das Letzte, was er wollte.
Eine Stunde später standen sie wieder auf der Dachterrasse. Nora schmiegte sich an Bens Seite, und er nahm sie in den Arm. Sie waren aufgewühlt, erschöpft und zufrieden. Die Nachtluft kühlte ihre nackte Haut, und Ben atmete Noras Geruch. Ein Gemisch aus Sex und einem Rest Parfüm.
Sie fragte: »Liebster, was soll ich jetzt machen?«
»Ich kann dir ein Taxi rufen.«
Sie zwickte seinen Bauch. »Du Witzbold weißt genau, was ich meine.«
»Du bist in einer verdammt schwierigen Situation. Versuch, Traube noch ein paar Tage hinzuhalten. Und du musst unbedingt mit Gladisch reden.«
»Hm. Mit dem habe ich mich erst vor ein paar Stunden gefetzt.«
»Trotzdem. Er ist der Einzige, der dich entlasten kann.«
»Darf ich dich um etwas bitten, Liebster?«
»Kommt darauf an«, sagte Ben. Er ahnte, was sie wollte. An ihrer Stelle würde er auch danach fragen.
»Kannst du die Aussagen von Iris und diesem Schmitz noch ein paar Tage für dich behalten? Wenn Gladisch mir hilft, spielen sie sowieso keine Rolle.« Ihre Augen leuchteten im Mondlicht.
»Du willst, dass ich mich strafbar mache. Zurückhalten von Beweismitteln. Du weißt, was das ausgerechnet für einen Polizeibeamten bedeutet.«
»Bitte! Ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn du mir nicht hilfst. Du bist meine einzige Hoffnung, Benedikt. Ich könnte Traube niemals heiraten. Oder willst du, dass ich das tue?«
»Na gut.«
Sie gab ihm einen langen Kuss.
»Wünsch mir Glück, Benedikt!«
Donnerstag
60.
Morgenpost, 29. Juni, Seite 1:
EHEMALIGER BÜRGERMEISTER ERMORDET
LEO FALK IN SCHREBERGARTEN TOT AUFGEFUNDEN
Der 64-jährige ehemalige Kommunalpolitiker Leo Falk wurde gestern Morgen auf seinem Schrebergrundstück an der Sudetenstraße von seiner Frau tot aufgefunden. Nach Angaben der Polizei war er in den frühen Morgenstunden mehreren Stichwunden erlegen. Der bislang unbekannte Täter konnte unbeobachtet entkommen. Über mögliche Parallelen zum Mordfall Fabian – der bekannte Gastronom war am Sonntagabend ebenfalls erstochen worden – wollte die Polizei keine Angaben machen. Falk und Fabian waren befreundet, hieß es aus Kreisen der Angehörigen.
Der gelernte Konditor Falk war bereits in jungen Jahren in den Rat der Stadt gewählt worden. 1973 wurde er Fraktionsgeschäftsführer, 1978 Fraktionsvorsitzender seiner Partei. 1983 wurde er mit den Stimmen beider großer Parteien zum Bürgermeister gewählt, ein Amt,
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