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Bittere Delikatessen

Bittere Delikatessen

Titel: Bittere Delikatessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Eckert
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als Polizeibeamter untragbar. Sonntag würde zufrieden sein. Das Einzige, was nicht in Toms Schema passte, war ein beiläufiger Satz von Ria Pohl: Benedikt hält die Schauspielerin für die Mörderin. Tom beschloss, dass dieses Detail für seinen Bericht an den Kripochef unwesentlich war.
    Er nahm das Papier aus der Maschine und las es noch einmal durch. Es klopfte.
    Ria Pohl stand in der Tür. »Lass uns rasch rausfahren. Es gibt da etwas, das wir uns ansehen müssen.«
    Tom ließ seinen Bericht in der Schublade verschwinden. Er überprüfte, ob sein Hemd korrekt in der Hose saß, und folgte Ria.
     
     
    65.
     
    Er kannte die Statistik. Gut 15.000 Fälle werden jährlich angezeigt. Nur etwa ein Zehntel der Beschuldigten wird verurteilt. Die Beweislage ist oft dürftig, es steht Aussage gegen Aussage, und Polizei und Justiz sind meist überfordert.
    Tom erinnerte sich an eine Diskussion über die Dunkelziffer. Längst nicht jedes dieser Delikte wird gemeldet, das ist klar. Aber geschieht es wirklich hunderttausendfach, Jahr für Jahr? Eine halbe Million Male, wie sogenannte Experten behaupten? Steckt gar in jedem Mann ein Triebtäter, wie eine Mitstudentin auf der Verwaltungshochschule einmal behauptet hatte?
    Auch von den Folgen für die Opfer hatte Tom gehört. Sie flüchten sich in Krankheiten, werden magersüchtig oder depressiv, versuchen Selbstmord. Sie sind anfällig für Drogen, kapseln sich ab, werden häufig zu Außenseitern, zu Psychokrüppeln, die ein Leben lang daran leiden. Zweifellos war es eins der verabscheuungswürdigsten Verbrechen. Kindesmissbrauch – bisher für Tom nur Theorie.
    Aber das hier war die Praxis. Brutale Realität.
    Stapelweise Beweisstücke. Eine Dokumentation grausamster Perversitäten. Ein ganzer Schrank voller Fotoalben, Schundhefte und Videobänder. Dazu ein Rekorder und ein Fernsehgerät.
    »Verfluchte Scheiße«, murmelte Ria und starrte auf die Fotos.
    Beate Falk brach in Schluchzen aus. Sie hatte den Schrank aufgebrochen und die Kripo verständigt. Mit einem Mal hatte sie die dunkle Seite des Mannes kennengelernt, mit dem sie jahrzehntelang verheiratet gewesen war.
    Ria Pohl hielt in Händen, was obenauf gelegen hatte. Das erste Kapitel einer langen Dokumentation des Grauens. Die Aufnahmen waren alt, verblasst und abgegriffen. Doch das Mädchen war unzweifelhaft zu erkennen. Beate Falk hielt es nicht mehr aus. Sie lief hinaus in den Garten. Die beiden Beamten blieben allein zurück.
    Voller Entsetzen sah Tom zu, wie Ria weiter in dem Album blätterte. Jedes einzelne Foto war Zeugnis einer Schändung. Das Gesicht der jungen Nora Fabian zeigte Qual und Abscheu, manchmal auch Abwesenheit, als hätte man sie unter Drogen gesetzt. Drei Täter zeigte das Album, manchmal sogar alle drei auf dem selben Foto.
    »Das ist der Stiefvater. Heinz Fabian!«, sagte Ria und stieß den Finger auf ein Bild. »Ich habe Hochzeitsfotos von ihm gesehen. So sah er damals aus!«
    Tom betrachtete das Unfassbare. Er wusste nicht, was er sagen sollte.
    Ria blätterte. Sie übersprang die Großaufnahmen der Geschlechtsorgane. »Sagen dir die anderen beiden Gesichter etwas?«
    Der eine hatte eine hohe Stirn und trug auffällig lange, breite Koteletten. Die Haare des Zweiten waren sorgfältig gescheitelt und bedeckten die Ohren, wie es der damaligen Mode entsprach. Beide waren auf den Bildern fünfunddreißig bis vierzig Jahre alt und von mittlerer Größe. Keine besonderen Merkmale.
    Tom schüttelte den Kopf.
    Die nächste Seite. Schweiß auf den Körpern der Täter. Verbissene Gesichter, als sei Vergewaltigung eine Wettkampfdisziplin. Und dieses Album war nur ein kleiner Teil des Grauens, das in dem Schrank zwischen Rasenmäher und Gartenliege archiviert war.
    »Du musst schon genau hinsehen, Tom!«, forderte Ria ihn auf.
    Tom zwang sich dazu. »Der hier könnte Falk sein, was meinst du? Und der andere kommt mir auch irgendwie bekannt vor, aber ich komm nicht drauf.«
    Ria ging mit dem Album nach draußen.
    Tom trat ans Fenster der Gerätekammer. Auf dem Nachbargrundstück arbeitete eine mollige Nackte an ihrer Sonnenbräune. Ihre schweren Brüste waren bereits alarmierend gerötet. Doch vor Toms Augen war immer noch das Bild der gequälten Nora Fabian. Er schüttelte den Kopf, als könne er es auf diese Art vertreiben.
    Er atmete tief durch und konzentrierte sich auf die Obstbäume und Blumenbeete vor dem Fenster. Auch seine Eltern hatten hier draußen einen Schrebergarten gehabt. Tom erinnerte sich

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