Bittere Sünde (German Edition)
»Es war alles etwas viel für mich in letzter Zeit. Wissen Sie, wir …«, sie blickte zur Schlafzimmertür, »wir schaffen es kaum, uns zu sehen, geben uns immer nur die Klinke in die Hand. Und jetzt sieht es so aus, dass er wahrscheinlich auch noch seinen Job verliert.«
»Das tut mir leid, es gibt zurzeit wirklich viele Entlassungen.«
Annika sah ihn etwas verwirrt an, dann senkte sie die Stimme und sagte in ernstem Tonfall: »Ich hoffe wirklich, dass Sie den zu fassen bekommen, der das getan hat, aber ich weiß nichts, was …«
»Gut, ich verstehe … Wussten Sie denn, dass Gösta Berggren in Argentinien angezeigt worden ist, weil er dort ein Mädchen vergewaltigt haben soll?«
Annika wandte ihm wieder den Rücken zu und stellte eine Tasse in den Schrank.
»Nein«, war ihre knappe Antwort.
Roger musste sich geschlagen geben. Ihr würde er ganz offensichtlich keine weiteren Informationen entlocken können. Er stand auf.
»Dann haben Sie vielen Dank für Ihre Hilfe. Würden Sie uns bitte anrufen, wenn Ihnen doch noch etwas einfällt, das Sie für wichtig halten?«
»Mach ich.«
Annika bedachte Roger zum Abschied mit einem völlig unerwarteten Lächeln, das ihm unmittelbar das Herz erwärmte. Und sogar noch andere empfindsame Körperregionen ansprach, wenn er ehrlich war.
Er verließ das Haus mit gemischten Gefühlen. Er fand Annika attraktiv und anziehend, und doch hatte er sie nicht einordnen können. Widerwillig musste er sich eingestehen, dass genau das sein Interesse geweckt hatte. Aber sie war ja bereits vergeben. Ernüchtert setzte er sich in seinen Wagen und fuhr nach Hause zu seinem Frettchen Oskar.
TEIL VIER
Mittwoch, 22. Oktober
25
Im Norden Argentiniens, inmitten karger, rotbrauner Berge, liegt La Rioja. Eine nach argentinischem Maßstab mittelgroße Stadt. Es gibt kaum Bäume, abgesehen von denen, die von Menschenhand in den vielen Parks gepflanzt wurden. Die Häuser sind flach, haben nur im Ausnahmefall drei Stockwerke. Hier ist Domenique Estrabou aufgewachsen. Ein Kind der Mittelschicht, ihr Vater war Ingenieur und ihre Mutter Hausfrau. Sie hatte zwei Brüder, von denen jedoch nur noch der jüngere lebte, Augusto.
Gerade stand Augusto im Garten seines kleinen Hauses, der von einer drei Meter hohen, weißen Mauer umgeben war, und blinzelte in die Morgensonne. Der Dobermann des Nachbarn bellte wütend auf der anderen Seite, wie immer. Am liebsten hätte er den Köter vergiftet, einfach ein mit Rattengift präpariertes Stück Fleisch über die Mauer geworfen, damit endlich mal wieder Ruhe einkehrte. Als er noch als Archäologe beim Patrimonio del Cultural gearbeitet hatte, war er nie oft oder lange genug zu Hause gewesen, um sich darüber die Haare zu raufen, doch nun, nach seiner Pensionierung, machte ihn dieser Höllenlärm wahnsinnig.
Er beobachtete seine Frau Hulda, die dabei war, weiße Wäsche zum Trocknen an die Wäscheleine zu hängen. Langsam klemmte sie Kleidungsstück für Kleidungsstück mit Wäscheklammern fest. Jede Bewegung fiel ihr schwer, seit sie an Parkinson erkrankt war. Augusto fragte sich, wie es wohl weitergehen würde. Sie hatte ihm immer zur Seite gestanden. Loyal wie ein Hund war sie gewesen, selbst bei seinen Fehltritten.
Er hatte es immer für eine Schwäche gehalten, dass sie beinahe alles mit sich machen ließ und nichts übel nahm. Doch nun musste er sich eingestehen, dass er schwächer war als sie. Diese Erkenntnis rief bei ihm gleichzeitig Zuneigung und Unmut hervor.
Hulda hängte gerade seine Unterwäsche auf und warf ihm einen Blick zu. Mit einer Hand strich sie sich das graue Haar aus dem Gesicht, das ihr in die Stirn gefallen war.
»Alles in Ordnung?«
»Ja.«
»Der Polizist, der schon einmal hier gewesen ist, um nach deiner Schwester zu fragen, hat vorhin angerufen.«
Augusto erstarrte. »Du hast ihm doch wohl nichts erzählt?«
»Natürlich nicht.«
»Was wollte er denn?«
»Er hat gefragt, ob uns vielleicht doch noch etwas eingefallen ist.«
Augusto warf ihr einen warnenden Blick zu. »Wir schweigen zu diesem Thema. Das ist so lange her, und mit diesen Vorfällen in Schweden hat das bestimmt nichts zu tun. Der Typ, der das damals gemacht hat, ist sicher längst tot, und ich will nicht, dass das Gerede wieder losgeht. Das war eine schlimme Sache, aber sie hat sich das selbst zuzuschreiben. Damit muss sie allein klarkommen.«
Hulda reckte das Kinn vor und fixierte ihren Mann. »Sie war noch ein Kind, das weißt du sehr genau. Es war
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