Bittere Sünde (German Edition)
es dafür nun schon zu dunkel war. Er seufzte enttäuscht.
Es war kurz nach halb sieben, als er endlich vor Annika Wiréns Haus angelangte, einem gepflegten gelben Holzhaus, das auf einer Lichtung im Wald stand. Sein Atem formte sich zu einer schneeweißen Wolke, während er den Türklopfer betätigte.
Ein kurzer, erstaunter Ausruf war von innen zu hören. Schon näherten sich hastige Schritte, und eine Sicherheitskette wurde ausgehakt.
Die Frau, die die Tür öffnete, sah ihn mit Verwunderung an. Ihre dunklen Haare hatte sie zu einem losen Dutt hochgesteckt. Sie war klein und auffallend hübsch.
Roger fand, sie hatte etwas von einer Balletttänzerin.
»Ja, bitte?« Sie schaute ihn fragend an.
»Guten Abend, ich bin Kommissar Roger Ekman vom Landeskriminalamt. Sind Sie Annika Wirén?«
Sie nickte.
»Dürfte ich vielleicht für einen Moment reinkommen?«, fragte Roger.
Annika blickte beunruhigt über die Schulter. »Wäre es für Sie auch in Ordnung, wenn wir uns hier unterhalten? Mein Freund muss nachher zur Nachtschicht, er schläft noch und will nicht gestört werden.«
»Mir wäre es lieber, drinnen mit Ihnen zu sprechen. Es geht um Ihren Cousin Erik und Ihre Tante Gunvor, und die Einzelheiten sind ziemlich delikater Natur. Ich finde, darüber sollten wir nicht gerade zwischen Tür und Angel reden.« Roger lächelte sie freundlich an.
Annika musterte ihn von Kopf bis Fuß. Widerwillig machte sie einen Schritt zurück, um ihn in den Flur zu lassen.
»Könnten wir uns vielleicht irgendwo setzen?« Roger sah sich im abgedunkelten Flur um.
»Wir könnten in die Küche gehen, wenn Sie wollen. Dann schließe ich nur schnell die Schlafzimmertür, damit wir meinen Freund nicht wecken.«
Roger nahm am Küchentisch auf etwas Platz, das er für einen Designerstuhl hielt. Die Küche befand sich in einem makellosen Zustand, abgesehen von ein paar Kochbüchern, die mit wenig Sorgfalt auf ein Regalbrett gestapelt worden waren. Roger fragte sich, ob sie die Bücher wirklich verwendete, oder ob sie nur zu Dekozwecken dienten. Die Küche wirkte so unbenutzt, als käme sie frisch aus dem Katalog. Früher hätte ihm das gefallen, mittlerweile fand er so etwas einfach nur schrecklich unpersönlich.
»Kann ich Ihnen etwas anbieten? Eine Tasse Tee?« Annika Wirén wirkte ein bisschen entspannter.
»Nein, danke. Ich habe leider keine schönen Nachrichten für Sie. Ihr Cousin Erik Berggren wurde ermordet und Ihre Tante Gunvor Opfer eines Mordversuchs.«
Annika Wirén starrte ihn entgeistert an. Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht, und sie fing an zu zittern.
Es war nie leicht, diese Botschaft zu überbringen. Man gewöhnte sich auch nicht daran, dachte Roger, der Annika tröstend die Hand auf die Schulter legte.
Annika schloss ihre sorgsam geschminkten Augen, sie atmete stoßweise. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern: »Was ist passiert? Der Polizist, der mich anrief, hat davon gar nichts gesagt …«
»Da es sich um eine laufende Ermittlung handelt, darf ich Ihnen keine Einzelheiten mitteilen.«
Sie nickte und hielt sich die Handflächen an die Wangen, wie um sich selbst zu beruhigen.
»Wie oft hatten Sie Kontakt zu der Familie?«, fragte Roger und holte sein Notizbuch hervor.
»Ich habe sie seit meiner Jugend nicht getroffen«, sagte sie matt.
Roger sank enttäuscht ein wenig in sich zusammen.
»Als ich klein war, habe ich die Sommerferien bei ihnen verbracht, aber seither habe ich sie nicht wiedergesehen.«
»Warum?«
Annika zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung. Manchmal schlägt man einfach andere Wege ein, lebt sich auseinander. Das Übliche halt, Sie wissen schon.«
»Was können Sie mir denn über die Familie erzählen?«
»Sie waren in Ordnung.« Annika stand auf und fing an, die Spülmaschine auszuräumen.
»Fällt Ihnen vielleicht noch etwas mehr ein? Mochten Sie sie?«
»Keine Ahnung, das ist schon so lange her.«
»Wissen Sie vielleicht, ob es jemanden gab, der ihnen etwas Böses wollte?«
»Etwas Böses? Nein, das weiß ich nicht. Ich war ja noch so jung, ich kann mich nicht erinnern.« Sie klang gereizt. Dann fuhr sie plötzlich zu ihm herum. »Wieso fragen Sie das? Ich erinnere mich an nichts, das habe ich doch schon gesagt.«
Roger blickte erstaunt in ihr zorniges Gesicht, aber bevor er etwas erwidern konnte, hob sie entschuldigend die Hände. »Es tut mir leid, das sind einfach ziemlich schreckliche Nachrichten …«
»Das verstehe ich sehr gut.«
Annika schaute zu Boden.
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